Der Ex-Stasi-Offizier und seine Flüchtlingsheime
In der DDR jagte Wilfried Pohl Republikflüchtlinge. Heute betreibt er Heime für Asylbewerber. Ein Wandel zum Guten? Seine Heime sorgen immer wieder mit menschenunwürdigen Bedingungen für Schlagzeilen.
Von Ileana Grabitz , Uwe Müller , Lars-Marten Nagel , Johanna Schiele und Vanessa Schlesier, Radebeul
Der Konferenztisch aus braunem Furnierholz hat bessere Tage gesehen, ein abgestandener Geruch liegt über den Möbeln, der Blick raus auf die verfallenen Garagen vor dem Fenster ist trist. Doch die Ordnung besticht. Akkurat stehen Aktenordner im Regal. Der Schreibtisch, das sauber gescheitelte Haar des Chefs signalisieren Disziplin. Wilfried Pohl, 58 Jahre und Betreiber von acht Asylbewerberheimen, hat hier alles im Griff. An der Wand hängt ein Zitat Winston Churchills, als sei es Pohls Lebensmotto. “Es gibt Leute, die halten Unternehmer für einen räudigen Wolf, den man totschlagen muss”, sagte der britische Staatsmann dereinst. “Nur wenige sehen in ihm das Pferd, das den Karren zieht.”
Dass Pohl sich gern ins Zeug legt, ist verbrieft. “Mit Fleiß, Umsicht und Eigeninitiative” habe er stets die ihm übertragenen Aufgaben gelöst, schrieben Chefs früher über ihn, lobten seine Disziplin und Prinzipientreue. Doch die, die ihn auszeichneten, hatten mit dem Kapitalismusverfechter Churchill wenig zu tun: Wilfried Pohl diente als hochrangiger Offizier dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR.
Und was er tat, tat er hundertprozentig. Er jagte im Auftrag der SED-Geheimpolizei Republikflüchtlinge – und sollte dabei auch mit einem Fall zu tun bekommen, der später für Furore sorgte. Er soll Jutta Fleck verhört haben, die damals noch Gallus hieß. Jene Frau, die mit ihren zwei Töchtern fliehen wollte, von ihnen getrennt und allein in die Bundesrepublik abgeschoben wurde – und die später als “Frau vom Checkpoint Charlie” in die Annalen einging.
Bis zu 1500 Flüchtlinge beherbergt der Ex-Stasi-Mann
Dieser Fall ist Geschichte, die Karriere von Wilfried Pohl ist es nicht. Noch immer ist der Mann, der ehedem Republikflüchtlinge einschüchterte, im Geschäft mit Flüchtlingen beschäftigt – allerdings nicht mehr im Dienst der Staatssicherheit, sondern im Dienste deutscher Kommunen. Mit seinen acht Großunterkünften für Flüchtlinge ist Pohl heute einer der größten privaten Betreiber von Asylbewerberheimen. Bis zu 1500 Asylbewerber beherbergt er mit seinen Firmen ITB Dresden und S&L in Oberursel. Doch die Fürsorge für die Menschen in seiner Obhut lässt oftmals zu wünschen übrig. Immer wieder sorgen seine Heime mit menschenunwürdigen Bedingungen für Schlagzeilen. Im “Heim-TÜV”, einem Vergleich der Flüchtlingsherbergen des sächsischen Ausländerbeauftragten, schneiden Pohls Herbergen schlecht ab.
Und die Behörden schauen einfach zu. Nicht einmal die Tatsache, dass sie einem Ex-Stasi-Offizier ihre Flüchtlinge anvertrauen, ist von Interesse. Auf Anfrage antworten die betroffenen Landkreise aus Hessen, Sachsen und Thüringen ähnlich. Pohls Vergangenheit sei unbekannt gewesen, wäre aber für die öffentlichen Ausschreibungen ohnehin nicht relevant gewesen. Grundsätzlich sei man mit seiner Arbeit zufrieden. Der Landkreis Meißen teilt noch mit: “Der Tagessatz pro belegtes Bett beträgt 6,50 Euro und liegt damit weit unter den Sätzen vergleichbarer Anbieter.” Das ist es also. Pohl löst das Asylproblem der Kommunen billiger als die Konkurrenz. Auch für ihn lohnt sich das: Jedenfalls kann sich Pohls Familie heute ein großzügiges lachsfarbenes Einfamilienhaus im Dresdener Speckgürtel leisten.
Der Fall wirft ein Schlaglicht darauf, was bei der Organisation der Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland schiefläuft: Kaum Auflagen gibt es für die privaten Betreiber, wenig Kontrollen, kaum verbindliche Standards. Nur der Preis muss stimmen. Damit ist der Markt zum Tummelplatz für Leute geworden, die in ihren Methoden nicht gerade zimperlich sind – und die Gunst der Stunde schon früh erkannt haben.
Die Karrierewende: Vom Vernehmer ins Flüchtlingsgeschäft
Vor 25 Jahren hatte der zweifache Familienvater mitten im Zentrum der Macht gestanden, binnen weniger Jahre hatte es der gelernte Dreher und einstige Student der Kriminalistik zum Stasi-Hauptmann gebracht, da fiel die Mauer – und Genosse Pohl aus seiner Zeit. Er habe damals Mühe gehabt, mit den Geschehnissen seinen Frieden zu machen, erzählt er. Vernehmer von seinem Schlag brauchte man nicht mehr. Aber Sicherheitsdienstleistungen konnte man im kapitalistischen Westen sehr wohl verkaufen – ein Metier, in dem sich Pohl, der in den 70er-Jahren als NVA-Soldat an der innerdeutschen Grenze Pässe kontrolliert hatte, bestens auskannte. Also sprang er auf den Zug einiger alter Bekannter aus Polizei, Stasi und NVA einfach auf: Man wollte gemeinsam ein Business aufziehen.
Anfang der 90er-Jahre gab es Krieg auf dem Balkan, Flüchtlinge kamen zu Hunderttausenden nach Deutschland, und Pohl und seine Kollegen witterten ihre Chance: Gemeinsam zogen sie über das Land, suchten ausgediente DDR-Liegenschaften, um Herbergen für Flüchtlinge anzubieten. Sie organisierten ein lästiges Problem für die Kommunen, kassierten dafür Dumpingpreise, beide Seiten profitierten.
Man war froh, wieder Arbeit zu haben, doch irgendwann ging es mit Pohl und seinen Kollegen auseinander. Ende der 90er blieb er als einziger Geschäftsführer der ITB Dresden zurück und konnte fortan alleine schalten und walten. Seinen Bruder Werner, einen ehemaligen Stasi-Major aus der Abteilung “Kader und Schulung” in Magdeburg, versorgte er mit. Der wurde Hausmeister in einem Heim für Flüchtlinge im hessischen Oberursel. Dort sind die Zustände seit Jahren besonders unwürdig. 220 Menschen leben dort eingepfercht in zwei Container, das Haus ist voller Kakerlaken, Waschräume und Toiletten sind unerträglich verdreckt und zum Teil unbenutzbar.
“Stets eine gute Geständnisbereitschaft”
Schon zu DDR-Zeiten hatte Pohl offenkundig kein Problem damit, die Menschenwürde zu verletzen. Seit 1982 saß er in der Bautzener Landstraße in Dresden, in der vierten Etage des berüchtigten Gefängnisses für Untersuchungshäftlinge der Stasi. In den Etagen unter ihm hockten die Häftlinge in ihren Zellen, der Willkür ihrer Peiniger ausgeliefert. Seine Vorgesetzten lobten Pohl ausdrücklich dafür, wie er “bei Straftätern im Rahmen von Staatsverbrechen stets eine gute Geständnisbereitschaft” erzielte.
Pflichtbewusstsein prägt Pohl bis heute. Nun eben im Namen der Kommunen Hochtaunuskreis, Landkreis Meißen, Nordsachsen, Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, Erzgebirgskreis und Waltershausen in Thüringen.
Fast ein wenig selbstzufrieden führt der Unternehmer Besucher durch die Flure des Heims in Radebeul nahe Dresden. Der Putztrupp muss gerade fertig geworden sein. Pfützen glänzen auf den Kacheln, die Toiletten sind frisch gewischt. Unter einer nackten Glühbirne bleibt Pohl stehen und berichtet von der Zerstörungswut, die entsteht, wenn 120 Männer auf engstem Raum leben müssen. “Sie haben einfach den Lampenschirm abgeschraubt”, sagt er. Den massiven Metalltisch aus der Küche hätten sie aus dem Fenster geworfen. Sein Hausmeister käme mit den Reparaturen nicht hinterher. Diese Wahrheiten würden seine Kritiker unterschlagen, sagt Pohl.
Doch sein Fall wirft vor allem eine Frage auf: Darf Deutschland Flüchtlinge aus Terror- und Unrechtsstaaten, aus Krieg und Elend, tatsächlich den Kadern der letzten Diktatur auf deutschem Boden überlassen?
Die “Frau vom Checkpoint Charlie” erinnert sich
“Das ist skandalös”, sagt Jutta Fleck. Sie sitzt im “Eiscafé Paradiso” am Wiesbadener Hauptbahnhof. Rosa Uhr, roter Schal, gepunktete Bluse. Bis heute gibt sie sich unangepasst. Mit ihren beiden Töchtern wollte sie 1982 über Rumänien fliehen, flog dann aber auf. Nach monatelangen Verhören stand die Strafe für den “schweren Fall von Republikflucht” fest: dreieinhalb Jahre Gefängnis. Sie war Mitte dreißig.
Die Bundesrepublik kaufte sie kurz vor Ende der Haft frei, aber ihre minderjährigen Töchter blieben beim linientreuen Vater, mussten im DDR-Staatsfernsehen auftreten – während ihre Mutter vom Westen aus zuschauen musste. Drei Jahre kämpfte Fleck um ihre Ausreise. Sie trat in Hungerstreik, sprach beim Außenminister vor, beim Bundeskanzler, selbst beim Papst. Und bei jedem Wetter machte sie sich auf zum Berliner Grenzübergang Checkpoint Charlie, um dort mit selbst gestalteten Plakaten gegen die Trennung von ihren Töchtern zu protestieren. Bis 1988 musste sie sich gedulden, dann ließ man ihre Kinder endlich ausreisen.
Die Verhöre und die perversen Drohungen der Vernehmer kann Fleck bis heute nicht vergessen. “Sie werden Ihre Kinder nie wiedersehen”, habe man ihr angedroht. Vor allem die zornesroten Gesichter ihrer Peiniger, die nicht abließen von ihr, sie wieder und wieder quälten mit ihren Befragungen, sind der heute 68-Jährigen in Erinnerung geblieben. Als sie das Foto von Wilfried Pohl sieht, platzt es aus ihr heraus. “Das war einer der Schlimmsten.”
Pohl sagt, er könne sich nicht an Fleck erinnern, könne aber nichts ausschließen. “Kann sein, dass ich solche Befragungen oder Vernehmungen durchführen musste, möglich.” Fest steht: Im Herbst 1982 waren beide zeitgleich in der Haftanstalt in Dresden.
“Ich war Teil dessen, und dazu stehe ich auch”
Wilfried Pohl, auch das ist verbrieft, stand damals ziemlich unter Druck. Das Studium der Kriminalistik, zu dem ihn die Stasi an die Humboldt-Universität delegiert hatte, war ihm nicht leichtgefallen. Zeitweise sei es ihm nicht gelungen, “den Studienanforderungen gerecht zu werden”, hielten die Genossen fest. Es gab Aussprachen, Selbstkritik und Einträge in die Akte. In Dresden bekam der junge Leutnant und Untersuchungsführer nun erstmals die Chance, sich im Beruf zu beweisen – und Jutta Fleck könnte eine der ersten großen Bewährungsproben für ihn gewesen sein.
Mehr als vier Jahrzehnte sind seither vergangen, fast 24 Jahre Bundesrepublik, Pohl hat sich allen Widrigkeiten zum Trotz etwas aufgebaut. Bis eben noch war er ganz Unternehmer, angesprochen auf seine Vergangenheit, wird er still. “Ich war Teil dessen”, sagt der Mann leise. Er habe immer im Rahmen der DDR-Gesetzlichkeit gehandelt. “Und dazu stehe ich auch.”
Die Antwort auf die Frage, wie das alles mit seiner heutigen Arbeit im Asylgeschäft zusammenpasst, erstaunt angesichts der miserablen Zustände in einigen seiner Heime dann allerdings doch: “Vielleicht”, sagt Pohl, “ist das mein Weg, ein bisschen mit mir selbst ins Reine zu kommen.”