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Dieser Mann kennt alle Geheimnisse der Bundesrepublik

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Dieser Mann kennt alle Geheimnisse der Bundesrepublik

Klaus-Dieter Fritsche leitet jeden Dienstag die nachrichtendienstliche Lage im abhörsicheren Raum in der vierten Etage des Kanzleramts. Neuerdings geht es um die große Frage: Wie bewahrt man Frieden?

Von Dirk Banse, Manuel Bewarder , Florian Flade und Uwe Müller

Dienstags, Punkt zehn Uhr, geht es im Kanzleramt um die Geheimnisse der Republik. Jede Woche sitzen etwa 30 Personen im abhörsicheren Raum in der vierten Etage. Auch Kanzleramtschef Peter Altmaier ist fast immer dabei. Hoch konzentriert folgen sie besonders den Vorträgen dreier Männer. Und die drehen sich neuerdings vor allem um die eine, ganz große Frage: Wie bewahrt man den Frieden? Oder vielmehr: Gibt es Krieg?

Was sich dort in den wenigen Stunden bis zum frühen Nachmittag abspielt, in der sogenannten Nachrichtendienstlichen Lage, gehört zum Bestgehüteten der Republik: Die Chefs der drei deutschen Geheimdienste – Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutz und Militärischer Abschirmdienst – erstatten Bericht. Anschließend kommt man meist noch einmal kurz im kleinen Kreis zusammen. Und zwar informell.

Was einst kaum mehr als eine wöchentliche Routine war, ist mittlerweile wieder so wichtig wie im Kalten Krieg. Ob in Syrien, im Irak oder in der Ukraine, es brennt an vielen Stellen auf der Welt. Die internationalen Partner blicken dabei immer häufiger nach Berlin, die Kanzlerin muss Position beziehen und somit ihrer Rolle als mächtigste Frau der Welt gerecht werden.

Je größer die Katastrophe, desto wichtiger der Spion

Der Mann, der das wöchentliche Treffen der Nachrichtendienstchefs leitet, gibt Merkel wichtige Hinweise. Klaus-Dieter Fritsche ist verantwortlicher Staatssekretär für Geheimdienste im Kanzleramt. Brille, Halbglatze, schmale Lippen – bei diesem äußerlich unscheinbaren Beamten laufen die Fäden zusammen. Als er im Januar sein Amt antrat, konnte Fritsche, der zumeist im Hintergrund bleibt, kaum ahnen, wie wichtig sein Job einmal werden würde.

Jahrelang hatten die Geheimen ein Schattendasein gefristet. Doch je größer die Katastrophen, desto wichtiger werden sie. “Angesichts der aktuellen Krisen in der Ukraine und im Irak arbeiten die deutschen Sicherheitsbehörden auf Hochtouren”, sagte Fritsche der “Welt am Sonntag”. Das Erstarken der Terrormiliz IS habe die Dienste überrascht. “Die besondere Rolle, die der IS mittlerweile im Nordirak und in Syrien spielt, war nicht prognostizierbar”, erklärte er. Die Erkenntnisse der Nachrichtendienste würden aufgrund der Krisen bedeutender. “Ihre Informationen sind eine wichtige Basis für die Entscheidungen der Bundesregierung.” Deutschland erlebt somit eine Renaissance der Dienste. Ausgerechnet.

Denn schon aus historischen Gründen ist das Verhältnis zwischen Regierung und den Geheimen hierzulande seit je schwierig. Zuerst die Gestapo, dann die Stasi. Gleich zwei totalitäre Regime haben ihre Geheimdienste als Unterdrückungsinstrumente gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt. Das ist tief im kollektiven Bewusstsein der Deutschen verankert und ein Grund dafür, dass die meisten deutschen Kanzler stets demonstrativ Abstand zu den Diensten wahrten.

Die Mächtigen halten lieber Abstand

Das trifft auch auf Kanzlerin Merkel mit ihrer Sozialisierung in der DDR zu. In ihrer neunjährigen Amtszeit hat sie die BND-Zentrale in Pullach kein einziges Mal besucht. Von Helmut Schmidt ist gar der spöttische Satz überliefert, er fühle sich durch die “Neue Zürcher Zeitung” besser über die Welt informiert als durch die Berichte des BND. Deutlicher kann man seine Geringschätzung kaum ausdrücken.

Zuletzt haben dann Fehltritte das Image der Sicherheitsorgane den grundsätzlichen Glauben an die Fähigkeiten der Geheimdienstler ramponiert. Erst stürzte der NSU den Verfassungsschutz der Bundesrepublik in seine wohl tiefste Krise. Jahrelang konnten die Rechtsterroristen ungehindert durch Deutschland ziehen und morden. Seitdem im vergangenen Jahr der Amerikaner Edward Snowden zudem die globalen Überwachungsmethoden westlicher Geheimdienste enthüllte, muss sich auch der Bundesnachrichtendienst rechtfertigen wie niemals zuvor.

Selbst führende Staatsrechtler erklärten seine Arbeit für verfassungswidrig. Und die Rufe, den Auslandsnachrichtendienst BND abzuschaffen, haben es über die Linke sogar in den Bundestag geschafft. “In Ländern wie den USA, Großbritannien oder Frankreich haben die Geheimdienste ein ganz anderes Standing als bei uns”, bilanziert der ehemalige BND-Präsident Hans-Georg Wieck. “Deren Regierungschefs haben auch nicht solche Berührungsängste wie in Deutschland.”

Rohstoff für Entscheidungen

Diametral zu dieser Vorsicht steht der Bedarf der politischen Entscheider hierzulande an exklusiven, nicht öffentlichen Informationen und Einschätzungen in einer unübersichtlichen Weltlage, die sich manchmal im Stundentakt ändert: Was plant Russlands Präsident als Nächstes? Mit welchen Risiken muss man rechnen, wenn man Waffen an die Kurden liefert? Und wird sich vielleicht schon morgen ein Selbstmordattentäter des “Islamischen Staates” (IS) hierzulande in die Luft sprengen?

Das sind Fragen, auf die es nicht die eine Antwort gibt. Aber die Geheimdienste helfen bei der Einschätzung. Denn sie können mit Methoden arbeiten, die anderen Beschaffern von Informationen wie dem diplomatischen Dienst oder Journalisten verschlossen sind: Sie überwachen Telefone und E-Mails und werten Satellitenbilder aus. Die weltweit gesammelten Erkenntnisse werden analysiert und bewertet. So entstehen, wie es im Geheimdienst-Jargon heißt, Lagebilder. Sie sind der Rohstoff für politische Entscheidungen.

Das hat inzwischen auch die Kanzlerin erkannt. Nach ihrer Wiederwahl im vergangenen Herbst schuf sie die Position Fritsches – die NSA-Affäre hatte ihr unmissverständlich vor Augen geführt, dass es einen koordinierenden Kopf für die Arbeit der Geheimdienste brauchte. Mit dem Staatssekretär schuf Merkel eine übergeordnete Instanz. Fritsche lässt sich fast alle Berichte vom BND vorlegen, dem einzigen Dienst, der direkt dem Kanzleramt unterstellt ist. Über die jeweils zuständigen Ministerien erfährt er aber auch das Wichtigste von Verfassungsschutz und Militärischem Abschirmdienst. “Sekretär 007″ nennt mancher ihn aufgrund seiner Position.

Eine Lobeshymne wird als Frechheit empfunden

Gezielt fiel Merkels Wahl auf den gebürtigen Bamberger. Verlässlich, konservativ, geradlinig – kaum jemand schien besser qualifiziert für den neuen Posten im Kanzleramt. Der ehemalige Verwaltungsrichter hat eine steile Beamtenlaufbahn hingelegt. Vom Büroleiter des damaligen bayerischen Innenministers Günther Beckstein stieg er nach nur einem Jahr zum Vizepräsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz auf. In der ersten großen Koalition unter Angela Merkel war Fritsche schon einmal im Kanzleramt, aber als Abteilungsleiter. 2009 wechselte er dann ins Innenministerium und wurde Staatssekretär.

Unumstritten ist er dennoch nicht. Als Fritsche Vizepräsident des Verfassungsschutzes war, erklärte er, dass es “keine Anhaltspunkte” für eine “braune RAF” gebe. Zu diesem Zeitpunkt hatte der NSU aber schon mehrere Jahre lang Menschen hingerichtet. Als Fritsche schließlich vom Untersuchungsausschuss befragt wurde, hielt er trotz der unentdeckten Mordserie eine Lobeshymne auf die Sicherheitsbehörden – was viele Abgeordnete als Frechheit empfanden.

Geschadet hat ihm das aber offensichtlich kaum. eine Lehre aus der NSA-Affäre, die dem damaligen Kanzleramtschef Ronald Pofalla gefährlich nahe kam. Doch diese Aufgabe, insbesondere die Betreuung des Untersuchungsausschusses zum Ausspähskandal, mag zwar wichtig bleiben, ist aber angesichts der großen Krisen zweitrangig geworden. Fritsches Jobbeschreibung hat sich innerhalb weniger Monate radikal verändert.

Immer mehr Fragen zu dem Krisengebieten

Jetzt geht es darum, dass die Maschine möglichst reibungslos funktioniert. Die Taktzahl, in dem die Kanzlerin mittlerweile über die Erkenntnisse der Dienste auf dem Laufenden gehalten wird, hat sich enorm erhöht. Seit dem Sommer 2013 hat sich die Zahl der Berichte des BND an das Bundeskanzleramt zu “Ukraine/Russland” nach Informationen dieser Zeitung verdoppelt. Die Menge der Mitteilungen zum Irak schnellte innerhalb der vergangenen Wochen um ein Viertel empor. Mit Blick auf den syrischen Bürgerkrieg liegt die Zahl der Berichte seit Jahren auf einem sehr hohen Niveau.

Die schriftlichen Anfragen aus dem Deutschen Bundestag hierzu stiegen im vergangenen Jahr aber um ein Drittel, die Unterrichtungen von Bundestagsabgeordneten haben sich beinahe verzehnfacht.

Auch der Melde-Rhythmus im Kanzleramt selbst ist schneller geworden. Täglich in der Früh unterrichtet Fritsche mit seinem Team die Hausspitze über die Entwicklung in den Krisengebieten, im Regelfall berichtet er dann an Kanzleramtschef Altmaier, wenn es brisant wird, gehen seine Infos auch direkt an die Kanzlerin. Im Laufe des Tages reicht der Apparat oftmals weitere Informationen nach. Immer wieder gibt es Rückfragen zu beantworten. Fritsche muss außerdem das Verteidigungsministerium und das Auswärtige Amt unterrichten. Alles, was ihn erreicht und was er weiterleitet, läuft über abhörsichere Leitungen.

Schielt Russland auf die baltischen Staaten?

Gerade für den BND ist der Fokus auf die Außenpolitik eine Gelegenheit, sich zu rehabilitieren. In beiden Krisenregionen – Ukraine und Irak – verfügt der BND nach Einschätzung von Sicherheitspolitikern über sehr gute Erkenntnisse.

Nach offiziellen Angaben nahmen 17.000 Soldaten aus Luftwaffe, Marine und Heer teil. Nach außen hin sollte der Eindruck erweckt werden, es handele sich dabei um eine Militärübung in üblicher Größe, nichts Besonderes also. Doch der BND entdeckte im Umfeld des offiziellen Manövers weitere geheime Übungen, an denen zusätzlich rund 30.000 Soldaten beteiligt waren.

Die Provokation ging schließlich noch weiter: Russland legte den Erkenntnissen des Geheimdienstes zufolge kurzzeitig Radaranlagen der Nato lahm und feuerte eine Kurzstreckenrakete vom Typ “Iskander” in Richtung Litauen. Bestückt mit der Attrappe eines Nuklearsprengkopfes ging sie erst kurz vor der Grenze zum Nachbarland zu Boden. “Zapad 2013″ war die umfangreichste Militärübung seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Moskau verhalte sich immer aggressiver, verkündete der BND – eine Warnung, die sich bewahrheiten sollte, wie die Ereignisse dieser Tage belegen.

Chancen zur Rehabilitierung für die Dienste

Aufgrund solcher Erkenntnisse könnte der Auslandsnachrichtendienst vor einer Renaissance stehen. Er könnte in eine Position im politischen Zusammenspiel zurückkehren, die er bereits während der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder innehatte. Dieser ließ sich während seiner Amtszeit immer wieder mal direkt vom damaligen BND-Präsidenten August Hanning in Kenntnis setzen. “Ich war wenige Stunden nach den Terroranschlägen am 11. September 2001  in den USA bei Schröder, um unsere Informationen dazu vorzutragen”, erinnert sich Hanning. Auch Außenminister Joschka Fischer fragte oftmals an.

Neben dem BND steigt auch für den Verfassungsschutz, den Inlandsgeheimdienst, die Chance zur Rehabilitierung. Mehr als 2000 Islamisten aus Europa sollen sich inzwischen dem IS angeschlossen haben. Dschihadisten aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien und anderen Ländern werden in der Region im Bombenbau und an Schusswaffen ausgebildet. Viele sind an Gräueltaten wie Massenerschießungen oder Enthauptungen von Geiseln beteiligt. Und einige der europäischen Terrorkämpfer kehren, radikalisiert und kampferprobt, in ihre Heimatländer zurück.

Erst im Mai hatte ein Syrien-Heimkehrer im Jüdischen Museum von Brüssel vier Menschen erschossen. Der französische Extremist war zuvor über den Flughafen Frankfurt in die Europäische Union eingereist. Weil ihn die französischen Behörden nur zur verdeckten Fahndung ausgeschrieben hatten, wurde er nicht festgenommen. Der Islamist konnte ungehindert weiterreisen und ein paar Wochen später zuschlagen.

Deutschland hat Interesse an “Five Eyes”

In ganz Europa warnen Sicherheitspolitiker seitdem noch dringlicher vor der Gefahr der Dschihad-Rückkehrer. Auf der Ebene der Nachrichtendienste soll – so fordern es auch Politiker in Deutschland – die Kooperation mit den internationalen Partnern ausgebaut werden. Ein Attentat wie in Brüssel soll sich nicht wiederholen. In Deutschland bedeuten die Reisebewegungen der Islamisten nach Syrien und in den Irak eine hohe Arbeitsbelastung sowohl für den Inlands- als auch für den Auslandsdienst.

Mehr als 400 Ausreisen zählt der Verfassungsschutz. Rund 100 Islamisten sollen inzwischen zurückgekehrt sein, einige mit Kampferfahrung. Manche von ihnen sollen sich “auffällig unauffällig” verhalten.

Dieses Wissen über die Krisen im Ausland und die möglichen Folgen im Inland – all das landet auf Fritsches Schreibtisch. Umso wichtiger ist die Kooperation mit internationalen Partnern. Erst vor ein paar Tagen kehrte er aus den USA zurück. Unter anderem war er dort, um sich über die Arbeit der “Five Eyes” zu informieren – des mächtigen Nachrichtendienstverbunds, zu dem sich Großbritannien, Kanada, Australien, Neuseeland und Amerika zusammengeschlossen haben. Von diesem Wissen möchte auch Deutschland stärker profitieren. Fritsche arbeitet deshalb an einer Vereinbarung über die künftige Zusammenarbeit. Er weiß, dass die deutschen Dienste zwar viel mitbekommen – am Ende aber immer nur über ein paar Puzzleteile des Weltgeschehens verfügen.

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