Justizminister Maas pfeift Bundesanwalt zurück
Bizarre Wende in einem bizarren Fall: Der Chefankläger geht doch nicht gegen “Netzpolitik.org” vor. Erst müsse festgestellt werden, ob die Journalisten überhaupt ein Staatsgeheimnis verraten haben.
Von Manuel Bewarder, Christian Meier, Uwe Müller
Am 5. August hat Markus Beckedahl, der Gründer des Internet-Blogs “Netzpolitik.org”, eigentlich etwas zu feiern. Sein Blog soll an diesem Tag ausgezeichnet werden, weil dort seit mehr als zehn Jahren “für ein offenes Netz und die digitalen Rechte der Bürger” geschrieben wird. Die Site sei zu einer “wichtigen Stimme in der Medienlandschaft” geworden. Darum soll das Blog als ein “Ausgezeichneter Ort im Land der Ideen” prämiert werden. Schirmherr dieses Wettbewerbs ist Bundespräsident Joachim Gauck.
Am Donnerstagnachmittag teilte Beckedahls Kollege Andre Meister auf der Website eine ganz andere Neuigkeit in eigener Sache mit. Der Generalbundesanwalt Harald Range hatte die Betreiber des Blogs informiert, dass gegen sie wegen des “Verdachts des Landesverrats” ermittelt wird. Ausgelöst durch eine Strafanzeige des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV). Die Server der Seite hielten dem Leseransturm darauf kaum stand, im Netz verbreitet sich das Schlagwort “Landesverrat”.
Die Wirkung war gewaltig – auch in Karlsruhe. Denn inzwischen hat Range die Ermittlungen wieder gestoppt. Am Freitag sagte er “FAZ.net”, er sehe mit “Blick auf das hohe Gut der Presse- und Meinungsfreiheit” von “nach der Strafprozessordnung möglichen Exekutivmaßnahmen ab”. Der Chefankläger der Bundesrepublik will jetzt von einem externen Sachverständigen erst einmal klären lassen, ob “Netzpolitik.org” überhaupt ein Staatsgeheimnis preisgegeben hat.
Der Justizminister kann es nicht fassen
Hinter der Wende in diesem bizarren Fall steht ganz offenbar Justizminister Heiko Maas (SPD). Der ließ am Nachmittag mitteilen, er habe Range seine Zweifel übermittelt, “ob es sich bei den veröffentlichten Dokumenten um ein Staatsgeheimnis handelt, dessen Veröffentlichung die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt”. Anders ausgedrückt: Der Justizminister hat den Bundesanwalt zurückgepfiffen.
Fragt sich nur, warum Range die Prüfung des möglichen Vergehens nicht schon vor der Einleitung des Ermittlungsverfahrens durchführen ließ. Er selbst behauptet, ein entsprechendes Gutachten könne nur im Rahmen eines förmlichen Ermittlungsverfahrens eingeholt werden. Doch diese Darstellung löst bei nicht wenigen Strafrechtlern Kopfschütteln aus.
Auch Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz ist irritiert. Der “Welt” sagte der Netzpolitiker: “Das Hin und Her des Generalbundesanwalts ist peinlich. Man kann nicht im größten Überwachungsskandal gegenüber deutschen und amerikanischen Behörden jahrelang völlig zahnlos agieren und, sobald der Präsident für Verfassungsschutz mal Strafanzeige stellt, mit maximal großem Geschützen gegen Journalisten vorgehen.” Nun müsse geklärt werden, “ob jemand, und wenn ja, wer, seinen politischen Segen zu diesem Vorgehen gegeben hat”.
Kubicki: “Das muss Konsequenzen haben”
Der stellvertretende FPD-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki forderte Ranges Rücktritt: “Wenn der Generalbundesanwalt die verfassungsrechtliche Rechtsprechung zur Pressefreiheit und zur Aufgabe von Journalisten nicht beachtet, dann ist er in seinem Amt eine Fehlbesetzung”, sagte Kubicki der “Welt am Sonntag”. “Selbstverständlich muss das jetzt Konsequenzen haben”, sagte Kubicki. “Das ist eine maximale Klatsche.” Der Justizminister hat dem Generalbundesanwalt mitgeteilt, dass er den Anfangsverdacht nicht teile. “Auch ich wundere mich, dass Range ein solches Verfahren überhaupt eröffnet hat”, sagte Kubicki.
Journalisten als Landesverräter – solche Ermittlungen hat es jedenfalls schon lange nicht mehr gegeben. Erinnerungen werden wach an die “Spiegel”-Affäre, als Anfang der 60er-Jahre gegen mehrere Redakteure das Nachrichtenmagazins Haftbefehl erlassen und die Redaktionsräume durchsucht wurden. Damals sprach Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) von “einem Abgrund an Landesverrat”. Von Angela Merkel (CDU) sind solche Worte bislang nicht überliefert. Und anders als damals sitzen auch noch keine Journalisten im Gefängnis.
Maaßen will Publikationen verhindern
Doch die Vorwürfe sind nicht ohne. Konkret geht es bei den – nun vorerst gestoppten – Ermittlungen um zwei Artikel, die sich mit den Strategien des Verfassungsschutzes zur Internetüberwachung beschäftigen. Die Stücke hatte “Netzpolitik.org”-Autor Andre Meister nicht nur geschrieben, er hat die Originaldokumente, die ihm Quellen zugespielt haben, auch gleich veröffentlicht. Ob dabei alles, was vorlag, auch im Netz landete, dazu will Beckedahl nichts sagen: Quellenschutz. Ansonsten ist radikale Offenheit eines der Prinzipien, denen sich Beckedahl, Meister und ihre Mitstreiter verpflichtet sehen. Klassische Medien zitieren eher aus vertraulichen Dokumenten, statt diese im Netz weiterzuverbreiten.
An den großen “Spiegel” mit seinen Hunderten Angestellten und dem imposanten Neubau am Hamburger Hafen denkt man nicht, wenn man Beckedahl in dem Berliner Büro nahe dem Rosa-Luxemburg-Platz besucht. Fünf Mitarbeiter und zwei Praktikanten gehören zum Website-Team. Fast alle sitzen in einem Raum, in dem viele Poster hängen, zum Beispiel ein Filmplakat des Snowden-Films “Citizenfour”.
Kurze Haare, Brille und schmächtig. Zufälligerweise sehen so nicht nur Snowden und Beckedahl, sondern auch der Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, aus. Da hören die Gemeinsamkeiten aber schon auf. Maaßen will mittels seiner Anzeige verhindern, dass geheime Dokumente von Medien veröffentlicht werden. Manche Journalisten wollten die Nachrichtendienste “fertigmachen”, sagte er vor ein paar Wochen auf einer Konferenz. Ob er damit auch Beckedahl meinte?
Kam die Anzeige überraschend?
Der Mann, der nun den Stempel “Staatsfeind” aufgedrückt bekommen hat, lächelt. Es habe ihn schon überrascht, dass am Donnerstag bei ihm und Andre Meister ein Bote vor der Tür stand und die Anzeige überstellte. Ob auch Maaßen davon überrascht ist?
Als Anfang Juli der Deutschlandfunk exklusiv über die Anzeige wegen Geheimnisverrats berichtete, sah es so aus, als ob sich die Ermittlungen vor allem gegen Beamte der Behörden oder Politiker und ihre Mitarbeiter richteten, die mit den Plänen oder Berichten zu tun hatten. Angesichts verschiedener Drohungen in den vergangenen Monaten kam die Anzeige des Verfassungsschutzes nicht mehr überraschend. Die Sicherheitsbehörden wollen die Lecks dichtmachen. Das ist ihre Aufgabe. Im Grunde könnte nach fast jeder geheimen Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums Anzeige erstattet werden. Große Wellen schlug das Vorgehen daher nicht.
Nun aber hat der Generalbundesanwalt das Ermittlungsverfahren eben nicht gegen Behördenmitarbeiter eingeleitet. Bislang auch nicht gegen die “Süddeutsche Zeitung”, deren Bericht über einen V-Mann auch ein Auslöser für Maaßens Anzeige war. Im Fokus stehen nur Beckedahl und Meister. Selbst in hochrangigen Sicherheitskreisen hat man den Eindruck, die Bundesanwaltschaft würde “mit Kanonen auf Spatzen schießen”.
Der Paragraf macht den großen Unterschied
Nach Paragraf 94 des Strafgesetzbuches (StGB) macht sich derjenige des Landesverrates schuldig, wer “einer fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner” ein Staatsgeheimnis anvertraut – “um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen”. Schon dieser Formulierung zeigt, dass die Strafvorschrift auf klassische Agenten zielt – und eben nicht auf Journalisten. Für die kommt höchstens Paragraf 95 in Betracht: das “Offenbaren von Staatsgeheimnissen”.
Bei dieser medientypischen Form des Geheimnisbruchs ist die Strafandrohung allerdings niedriger. Doch wurde im vorliegenden Fall wirklich ein Staatsgeheimnis verraten? Möglicherweise liegt lediglich eine Straftat vor, die im Strafgesetzbuch viel weiter hinten beschrieben ist: die “Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht” nach Paragraf 353 b.
Bei diesem Delikt sind Journalisten außen vor. Ermittelt werden darf nur gegen die Quelle: also gegen Amtsträger etwa in der Verfassungsschutzbehörde oder Abgeordnete des Bundestags. Genau auf diesen Personenkreis zielte denn auch die Strafanzeige des Verfassungsschutzes, die sich gegen “unbekannt” und nicht gegen namentlich aufgeführte Journalisten richtete.
Sind damit jetzt die “Netzpolitik”-Macher aus dem Schneider? Sie sind mehr als klassische Journalisten und bezeichnen sich selbst als Aktivisten. Sie kommen aus der Open-Source-Szene, arbeiten mit journalistischen Mitteln für ihr Ziel eines freien Internets. Was wir erleben, ist also auch ein Zusammenprall zweier Kulturen: Ein Apparat, der auf Verschlossenheit setzt, trifft auf die Generation Internet, in der mancher absolute Transparenz befürwortet. Der Ausgang ist offen: “Wir sind davon überzeugt, dass solche Originaldokumente im digitalen Zeitalter auch komplett online gestellt werden dürfen”, sagt Beckedahl. “Der Stress hat sich gelohnt, wenn als Folge höchstrichterlich das Pendel zu unseren Gunsten ausschlägt.”
Wer jetzt denkt, dass nur Nerds die Internetseite verfolgen, der irrt. Das hat sich im NSA-Untersuchungsausschuss gezeigt. Andre Meister verfolgt jede Sitzung. Akribisch protokolliert er alle öffentlichen Sitzungen, auch nachts. So gesehen, ist “Netzpolitik.org” Medium, Archiv und Sprachrohr für eine Bewegung zugleich. Gleichzeitig sind aber auch die Zugriffszahlen aus Pullach oder Bad Aibling gestiegen. Denn dort, wo der Bundesnachrichtendienst (BND) sitzt, verfolgt man genau, was Meister notiert. Mehrere BND-Mitarbeiter haben in ihrer Zeugenbefragung ausführlich darüber erzählt, was sie auf der Seite über frühere Anhörungen erfahren haben. Der Nachrichtendienst selbst profitiert quasi von der Transparenzoffensive Meisters.
Für das Blog arbeiten neben Beckedahl und Meister vor allem freie Autoren. Seit Februar ist unter ihnen die Informatikerin und Datenschutzexpertin Constanze Kurz. Sie gehört zur Hackervereinigung Chaos Computer Club (CCC), gewissermaßen einem der Paten von “Netzpolitik.org”. Der CCC kommentierte die Ermittlungen nun so: “Der CCC gratuliert der Redaktion zu dieser seltenen journalistischen Auszeichnung und sichert tatkräftige sowie finanzielle Unterstützung zu.”
Spendenaufruf: Anzeige hilft der Finanzierung des Blogs
Beckedahl selbst bezeichnete “Netzpolitik.org” als “Mittelding zwischen Medium und Nichtregierungsorganisation, vergleichbar mit einer Mischung aus Greenpeace und ,taz'”. Er finanziert das Blog vor allem über Spenden. Seit Donnerstagabend wird die Kontonummer in sozialen Netzwerken weitergeleitet, viele Nutzer wollen die Macher nun unterstützen. Beckedahl finanziert “Netzpolitik.org” auch über eine Politik- und Technologieberatung.
Mitgegründet hat Beckedahl auch den Internetkongress “Re:publica”. Zu der dreitägigen Veranstaltung kommen jedes Frühjahr Tausende nach Berlin, um über Themen wie die offene Wissensgesellschaft, die Zukunft der Privatsphäre und digitale Geschäftsmodelle zu diskutieren. Inzwischen hat der Kongress einen internationalen Ruf und namhafte Sponsoren wie etwa den Autobauer Daimler.
Nach der Bekanntgabe der Ermittlungen müssen sich Beckedahl und Meister keine Sorgen über mangelnde Bekanntheit mehr machen. In nationalen wie in internationalen Medien wird über die zwischenzeitlich gestoppten Ermittlungen berichtet. Das Schlagwort “Landesverrat” beherrscht Twitter, Facebook und Co. Und vielleicht kommen Beckedahl und Meister irgendwann zu einem ähnlichen Fazit wie Rudolf Augstein nach der “Spiegel”-Affäre, die für das Renommee des Blattes unbezahlbar war. Augstein sagte: “Selten war eine Haft so gut angelegt.”