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Justizminister Maas pfeift Bundesanwalt zurück

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Justizminister Maas pfeift Bundesanwalt zurück

Bizarre Wende in einem bizarren Fall: Der Chefankläger geht doch nicht gegen “Netzpolitik.org” vor. Erst müsse festgestellt werden, ob die Journalisten überhaupt ein Staatsgeheimnis verraten haben.

Von Manuel Bewarder, Christian Meier, Uwe Müller

Am 5. August hat Markus Beckedahl, der Gründer des Internet-Blogs “Netzpolitik.org”, eigentlich etwas zu feiern. Sein Blog soll an diesem Tag ausgezeichnet werden, weil dort seit mehr als zehn Jahren “für ein offenes Netz und die digitalen Rechte der Bürger” geschrieben wird. Die Site sei zu einer “wichtigen Stimme in der Medienlandschaft” geworden. Darum soll das Blog als ein “Ausgezeichneter Ort im Land der Ideen” prämiert werden. Schirmherr dieses Wettbewerbs ist Bundespräsident Joachim Gauck.

Am Donnerstagnachmittag teilte Beckedahls Kollege Andre Meister auf der Website eine ganz andere Neuigkeit in eigener Sache mit. Der Generalbundesanwalt Harald Range hatte die Betreiber des Blogs informiert, dass gegen sie wegen des “Verdachts des Landesverrats” ermittelt wird. Ausgelöst durch eine Strafanzeige des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV). Die Server der Seite hielten dem Leseransturm darauf kaum stand, im Netz verbreitet sich das Schlagwort “Landesverrat”.

Die Wirkung war gewaltig – auch in Karlsruhe. Denn inzwischen hat Range die Ermittlungen wieder gestoppt. Am Freitag sagte er “FAZ.net”, er sehe mit “Blick auf das hohe Gut der Presse- und Meinungsfreiheit” von “nach der Strafprozessordnung möglichen Exekutivmaßnahmen ab”. Der Chefankläger der Bundesrepublik will jetzt von einem externen Sachverständigen erst einmal klären lassen, ob “Netzpolitik.org” überhaupt ein Staatsgeheimnis preisgegeben hat.

Der Justizminister kann es nicht fassen

Hinter der Wende in diesem bizarren Fall steht ganz offenbar Justizminister Heiko Maas (SPD). Der ließ am Nachmittag mitteilen, er habe Range seine Zweifel übermittelt, “ob es sich bei den veröffentlichten Dokumenten um ein Staatsgeheimnis handelt, dessen Veröffentlichung die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt”. Anders ausgedrückt: Der Justizminister hat den Bundesanwalt zurückgepfiffen.

Fragt sich nur, warum Range die Prüfung des möglichen Vergehens nicht schon vor der Einleitung des Ermittlungsverfahrens durchführen ließ. Er selbst behauptet, ein entsprechendes Gutachten könne nur im Rahmen eines förmlichen Ermittlungsverfahrens eingeholt werden. Doch diese Darstellung löst bei nicht wenigen Strafrechtlern Kopfschütteln aus.

Auch Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz ist irritiert. Der “Welt” sagte der Netzpolitiker: “Das Hin und Her des Generalbundesanwalts ist peinlich. Man kann nicht im größten Überwachungsskandal gegenüber deutschen und amerikanischen Behörden jahrelang völlig zahnlos agieren und, sobald der Präsident für Verfassungsschutz mal Strafanzeige stellt, mit maximal großem Geschützen gegen Journalisten vorgehen.” Nun müsse geklärt werden, “ob jemand, und wenn ja, wer, seinen politischen Segen zu diesem Vorgehen gegeben hat”.

Kubicki: “Das muss Konsequenzen haben”

Der stellvertretende FPD-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki forderte Ranges Rücktritt: “Wenn der Generalbundesanwalt die verfassungsrechtliche Rechtsprechung zur Pressefreiheit und zur Aufgabe von Journalisten nicht beachtet, dann ist er in seinem Amt eine Fehlbesetzung”, sagte Kubicki der “Welt am Sonntag”. “Selbstverständlich muss das jetzt Konsequenzen haben”, sagte Kubicki. “Das ist eine maximale Klatsche.” Der Justizminister hat dem Generalbundesanwalt mitgeteilt, dass er den Anfangsverdacht nicht teile. “Auch ich wundere mich, dass Range ein solches Verfahren überhaupt eröffnet hat”, sagte Kubicki.

Journalisten als Landesverräter – solche Ermittlungen hat es jedenfalls schon lange nicht mehr gegeben. Erinnerungen werden wach an die “Spiegel”-Affäre, als Anfang der 60er-Jahre gegen mehrere Redakteure das Nachrichtenmagazins Haftbefehl erlassen und die Redaktionsräume durchsucht wurden. Damals sprach Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) von “einem Abgrund an Landesverrat”. Von Angela Merkel (CDU) sind solche Worte bislang nicht überliefert. Und anders als damals sitzen auch noch keine Journalisten im Gefängnis.

Maaßen will Publikationen verhindern

Doch die Vorwürfe sind nicht ohne. Konkret geht es bei den – nun vorerst gestoppten – Ermittlungen um zwei Artikel, die sich mit den Strategien des Verfassungsschutzes zur Internetüberwachung beschäftigen. Die Stücke hatte “Netzpolitik.org”-Autor Andre Meister nicht nur geschrieben, er hat die Originaldokumente, die ihm Quellen zugespielt haben, auch gleich veröffentlicht. Ob dabei alles, was vorlag, auch im Netz landete, dazu will Beckedahl nichts sagen: Quellenschutz. Ansonsten ist radikale Offenheit eines der Prinzipien, denen sich Beckedahl, Meister und ihre Mitstreiter verpflichtet sehen. Klassische Medien zitieren eher aus vertraulichen Dokumenten, statt diese im Netz weiterzuverbreiten.

An den großen “Spiegel” mit seinen Hunderten Angestellten und dem imposanten Neubau am Hamburger Hafen denkt man nicht, wenn man Beckedahl in dem Berliner Büro nahe dem Rosa-Luxemburg-Platz besucht. Fünf Mitarbeiter und zwei Praktikanten gehören zum Website-Team. Fast alle sitzen in einem Raum, in dem viele Poster hängen, zum Beispiel ein Filmplakat des Snowden-Films “Citizenfour”.

Kurze Haare, Brille und schmächtig. Zufälligerweise sehen so nicht nur Snowden und Beckedahl, sondern auch der Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, aus. Da hören die Gemeinsamkeiten aber schon auf. Maaßen will mittels seiner Anzeige verhindern, dass geheime Dokumente von Medien veröffentlicht werden. Manche Journalisten wollten die Nachrichtendienste “fertigmachen”, sagte er vor ein paar Wochen auf einer Konferenz. Ob er damit auch Beckedahl meinte?

Kam die Anzeige überraschend?

Der Mann, der nun den Stempel “Staatsfeind” aufgedrückt bekommen hat, lächelt. Es habe ihn schon überrascht, dass am Donnerstag bei ihm und Andre Meister ein Bote vor der Tür stand und die Anzeige überstellte. Ob auch Maaßen davon überrascht ist?

Als Anfang Juli der Deutschlandfunk exklusiv über die Anzeige wegen Geheimnisverrats berichtete, sah es so aus, als ob sich die Ermittlungen vor allem gegen Beamte der Behörden oder Politiker und ihre Mitarbeiter richteten, die mit den Plänen oder Berichten zu tun hatten. Angesichts verschiedener Drohungen in den vergangenen Monaten kam die Anzeige des Verfassungsschutzes nicht mehr überraschend. Die Sicherheitsbehörden wollen die Lecks dichtmachen. Das ist ihre Aufgabe. Im Grunde könnte nach fast jeder geheimen Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums Anzeige erstattet werden. Große Wellen schlug das Vorgehen daher nicht.

Nun aber hat der Generalbundesanwalt das Ermittlungsverfahren eben nicht gegen Behördenmitarbeiter eingeleitet. Bislang auch nicht gegen die “Süddeutsche Zeitung”, deren Bericht über einen V-Mann auch ein Auslöser für Maaßens Anzeige war. Im Fokus stehen nur Beckedahl und Meister. Selbst in hochrangigen Sicherheitskreisen hat man den Eindruck, die Bundesanwaltschaft würde “mit Kanonen auf Spatzen schießen”.

Der Paragraf macht den großen Unterschied

Nach Paragraf 94 des Strafgesetzbuches (StGB) macht sich derjenige des Landesverrates schuldig, wer “einer fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner” ein Staatsgeheimnis anvertraut – “um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen”. Schon dieser Formulierung zeigt, dass die Strafvorschrift auf klassische Agenten zielt – und eben nicht auf Journalisten. Für die kommt höchstens Paragraf 95 in Betracht: das “Offenbaren von Staatsgeheimnissen”.

Bei dieser medientypischen Form des Geheimnisbruchs ist die Strafandrohung allerdings niedriger. Doch wurde im vorliegenden Fall wirklich ein Staatsgeheimnis verraten? Möglicherweise liegt lediglich eine Straftat vor, die im Strafgesetzbuch viel weiter hinten beschrieben ist: die “Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht” nach Paragraf 353 b.

Bei diesem Delikt sind Journalisten außen vor. Ermittelt werden darf nur gegen die Quelle: also gegen Amtsträger etwa in der Verfassungsschutzbehörde oder Abgeordnete des Bundestags. Genau auf diesen Personenkreis zielte denn auch die Strafanzeige des Verfassungsschutzes, die sich gegen “unbekannt” und nicht gegen namentlich aufgeführte Journalisten richtete.

Sind damit jetzt die “Netzpolitik”-Macher aus dem Schneider? Sie sind mehr als klassische Journalisten und bezeichnen sich selbst als Aktivisten. Sie kommen aus der Open-Source-Szene, arbeiten mit journalistischen Mitteln für ihr Ziel eines freien Internets. Was wir erleben, ist also auch ein Zusammenprall zweier Kulturen: Ein Apparat, der auf Verschlossenheit setzt, trifft auf die Generation Internet, in der mancher absolute Transparenz befürwortet. Der Ausgang ist offen: “Wir sind davon überzeugt, dass solche Originaldokumente im digitalen Zeitalter auch komplett online gestellt werden dürfen”, sagt Beckedahl. “Der Stress hat sich gelohnt, wenn als Folge höchstrichterlich das Pendel zu unseren Gunsten ausschlägt.”

Wer jetzt denkt, dass nur Nerds die Internetseite verfolgen, der irrt. Das hat sich im NSA-Untersuchungsausschuss gezeigt. Andre Meister verfolgt jede Sitzung. Akribisch protokolliert er alle öffentlichen Sitzungen, auch nachts. So gesehen, ist “Netzpolitik.org” Medium, Archiv und Sprachrohr für eine Bewegung zugleich. Gleichzeitig sind aber auch die Zugriffszahlen aus Pullach oder Bad Aibling gestiegen. Denn dort, wo der Bundesnachrichtendienst (BND) sitzt, verfolgt man genau, was Meister notiert. Mehrere BND-Mitarbeiter haben in ihrer Zeugenbefragung ausführlich darüber erzählt, was sie auf der Seite über frühere Anhörungen erfahren haben. Der Nachrichtendienst selbst profitiert quasi von der Transparenzoffensive Meisters.

Für das Blog arbeiten neben Beckedahl und Meister vor allem freie Autoren. Seit Februar ist unter ihnen die Informatikerin und Datenschutzexpertin Constanze Kurz. Sie gehört zur Hackervereinigung Chaos Computer Club (CCC), gewissermaßen einem der Paten von “Netzpolitik.org”. Der CCC kommentierte die Ermittlungen nun so: “Der CCC gratuliert der Redaktion zu dieser seltenen journalistischen Auszeichnung und sichert tatkräftige sowie finanzielle Unterstützung zu.”

Spendenaufruf: Anzeige hilft der Finanzierung des Blogs

Beckedahl selbst bezeichnete “Netzpolitik.org” als “Mittelding zwischen Medium und Nichtregierungsorganisation, vergleichbar mit einer Mischung aus Greenpeace und ,taz'”. Er finanziert das Blog vor allem über Spenden. Seit Donnerstagabend wird die Kontonummer in sozialen Netzwerken weitergeleitet, viele Nutzer wollen die Macher nun unterstützen. Beckedahl finanziert “Netzpolitik.org” auch über eine Politik- und Technologieberatung.

Mitgegründet hat Beckedahl auch den Internetkongress “Re:publica”. Zu der dreitägigen Veranstaltung kommen jedes Frühjahr Tausende nach Berlin, um über Themen wie die offene Wissensgesellschaft, die Zukunft der Privatsphäre und digitale Geschäftsmodelle zu diskutieren. Inzwischen hat der Kongress einen internationalen Ruf und namhafte Sponsoren wie etwa den Autobauer Daimler.

Nach der Bekanntgabe der Ermittlungen müssen sich Beckedahl und Meister keine Sorgen über mangelnde Bekanntheit mehr machen. In nationalen wie in internationalen Medien wird über die zwischenzeitlich gestoppten Ermittlungen berichtet. Das Schlagwort “Landesverrat” beherrscht Twitter, Facebook und Co. Und vielleicht kommen Beckedahl und Meister irgendwann zu einem ähnlichen Fazit wie Rudolf Augstein nach der “Spiegel”-Affäre, die für das Renommee des Blattes unbezahlbar war. Augstein sagte: “Selten war eine Haft so gut angelegt.”

WELT Investigativ Blog


Maas feuert Range – Geschichte eines Rauswurfs

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Maas feuert Range – Geschichte eines Rauswurfs

Bundesjustizminister Maas entzieht Generalbundesanwalt Range das Vertrauen, nachdem der ihm einen “unerträglichen Eingriff” in die Justiz vorwarf. Deutlicher hätte Range nicht werden können.

Von Manuel Bewarder, Uwe Müller

Das Drama begann unscheinbar, mit einem kurzen Text, fast schon versteckt auf Seite 6. Vor mehr als einem Jahr, am 26. Juni 2014, berichtete die “Süddeutsche Zeitung” in Kooperation mit NDR und WDR detailreich über die Pläne des Verfassungsschutzes, Extremisten im Internet genauer überwachen zu wollen.

Für einen Eklat sorgte diese Enthüllung jedoch nicht. Und der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, erstattete auch keine Anzeige. Das geschah erst, als die Online-Plattform “Netzpolitik.org” ebenfalls darüber berichtete, nun garniert mit längeren Auszügen von Originaldokumenten. Den Schlamassel haben nun alle: Die Redakteure des Blogs stehen unter Landesverratsverdacht. Mehrere Minister fürchten, sie könnten dafür verantwortlich gemacht werden, dass die Pressefreiheit Schaden nimmt. Und der ermittelnde Generalbundesanwalt Harald Range kracht in einer zuvor nicht für möglich gehaltenen Weise frontal mit der gesamten Regierung zusammen. Wie konnte es nur so weit kommen?

Erster Akt: Die Anzeige

Bereits im Jahr 2014 hatte Kanzleramtsminister Peter Altmaier die Mitglieder des NSA-Untersuchungsausschusses zur Geheimhaltung ermahnt. Der CDU-Politiker drohte bei Hinweisen auf Durchstechereien mit einer Strafanzeige. Wie der “Tagesspiegel” jetzt berichtet, gab es damals sogar zwei interne Prüfvorgänge der Geheimschutzbeauftragten des Kanzleramtes. Anzeigen folgten aber nicht. Im Frühjahr 2015 wollte es dann aber Verfassungsschutzpräsident Maaßen wissen. Er erstattete am 25. März beim Berliner Landeskriminalamt (LKA) Strafanzeige. Grund dafür war der Artikel bei “Netzpolitik.org”, in dem ein bisschen mehr stand als in der ersten Veröffentlichung aus dem Vorjahr.

Doch die Blogger um Chefredakteur Markus Beckedahl legten nach. Mitte April veröffentlichte Andre Meister einen weiteren Artikel zum Thema – jetzt mit deutlich mehr Details. Der Journalist veröffentlichte wesentliche Teile aus einem internen Papier der Verfassungsschützer, das als “Verschlusssache – vertraulich” eingestuft worden war. Am Tag darauf erstattete Maaßen erneut Anzeige. Sie richtete sich nicht direkt gegen die Journalisten. Doch die Namen von Meister sowie von Beckedahl wurden aufgeführt. Die Öffentlichkeit erfuhr von alldem zunächst nichts.

Anfang Mai ließ Maaßen ohne Bezug auf die Anzeigen durchblicken, wie sehr ihn die Weitergabe interner Papiere an die Presse nervt: Der Behördenchef nannte es einen Skandal, dass “geheime und geheimste” Unterlagen der Nachrichtendienste nach außen gelangen. Explizit sagte er, es sei ein Skandal, wenn Medien den geheimen Wirtschaftsplan des Verfassungsschutzes abdrucken und ein Bundestagsabgeordneter dies kommentiert.

Zweiter Akt: Die Enthüllung

Am 13. Mai schließlich eröffnete die Bundesanwaltschaft unter dem Aktenzeichen 3 BJs 13/15-1 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Landesverrates gegen Beckedahl, Meister und unbekannt – also die Quelle der Journalisten. Es bestehe der Verdacht, dass Staatsgeheimnisse veröffentlicht wurden. Das ist die Voraussetzung, um gegen Journalisten vorgehen zu können. Range erklärte allerdings später, er habe sogleich angewiesen, dass “mit Blick auf das hohe Gut der Presse- und Meinungsfreiheit keine Maßnahmen” gegen die in der Anzeige namentlich genannten Journalisten ergriffen werden sollen.

Zwei Wochen nach Einleitung des Verfahrens wurde das Bundesjustizministerium als Dienst- und Fachaufsichtsbehörde informiert. Angeblich warnte das Haus von Heiko Maas (SPD) mehrfach unzweideutig vor den Ermittlungen. In der Bundesanwaltschaft wird diese Darstellung zurückgewiesen. Am 19. Juni beauftragten die Karlsruher einen externen Gutachter, der prüfen sollte, ob es sich bei den veröffentlichten Dokumenten um ein Staatsgeheimnis handelt.

Am 4. Juli schließlich wurde die Sache publik: Der Deutschlandfunk berichtete über die Anzeigen von Maaßen. Zu diesem Zeitpunkt rechnete kaum einer damit, dass in diesem Zusammenhang auch die Journalisten in den Fokus geraten. Der Vorstoß des Verfassungsschutzes wurde vielmehr als Drohung gegen die Quelle interpretiert.

Dritter Akt: Das Duell

Am vergangenen Donnerstag informierten zwei Boten dann Beckedahl und Meister über das Ermittlungsverfahren. Seit diesem Tag tobt die Debatte, ob es sich dabei um einen Angriff auf die Pressefreiheit handelt. Der Druck auf Range wurde immer größer: Schließlich pfiff Maas den Chefankläger zurück. Dieser erklärte, das Verfahren vorläufig ruhen zu lassen – bis zum Eingang seines Gutachtens. Der Minister hatte ihm zuvor deutlich gemacht, dass er Zweifel daran habe, dass es sich tatsächlich um Staatsgeheimnisse handele. Range sah sich Rücktrittsforderungen ausgesetzt.

Am Sonntag gingen die Schuldzuweisungen weiter: Der Verfassungsschutz betonte, dass er Anzeige gegen unbekannt und nicht explizit gegen Journalisten gestellt habe. Das wiederum ließ die Karlsruher Behörde nicht auf sich sitzen und wies darauf hin, dass die Strafanzeige explizit die Namen Beckedahl und Meister aufführt.

Bei der Regierungspressekonferenz am Montag gingen alle auf Range los: Über ihre Sprecher ließen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (beide CDU) ausrichten, dass auch sie Zweifel an den Ermittlungen hätten. Die Pressefreiheit sei ein “hohes Gut”. Bestenfalls einen kleinen Seitenhieb bekam Maaßen ab, der die Anzeige gestellt und damit alles ausgelöst hatte. Mit der Präsentation eines eigenen Gutachtens Ende der Woche wollte Maas  die Affäre beenden. Darin sollte dem Vernehmen nach ausgeführt werden, warum die Veröffentlichungen tatsächlich keine Staatsgeheimnisse betreffen. Damit wäre dem Ermittlungsverfahren der Boden entzogen. Doch stattdessen eskalierte alles.

Am Dienstagmorgen kündigte Range eine Erklärung an. Viele rechneten mit seinem Rücktritt. Was folgte, war jedoch eine Kampfansage. Range erklärte, der Gutachter seiner Behörde sei zu dem Ergebnis gekommen, dass man es hier sehr wohl mit einem Staatsgeheimnis zu tun habe. Damit ging er auf Konfrontation zu Maas, dessen Ministerium Range sofort anwies, das unbotmäßige Gutachten umgehend zu stoppen. Das machte Range öffentlich und geißelte die Weisung als “unerträglichen Eingriff” in die Justiz. Deutlicher hätte er nicht werden können.

Die Reaktion des Justizministers muss Range klar gewesen sein. Am Dienstagabend trat Maas vor die Presse. Er erklärte die Zusammenarbeit für beendet – und stellte sogleich Ranges Nachfolger vor.

Ein Kurzportrait des künftigen Generalbundesanwalts Peter Frank lesen Sie hier.

Der Artikel auf welt.de

WELT Investigativ Blog

Handelte der Verfassungsschutz-Chef “korrekt”?

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Handelte der Verfassungsschutz-Chef “korrekt”?

Die Affäre um “Netzpolitik.org” ist mit dem Rauswurf des Generalbundesanwalts nicht zu Ende. Eine Kernfrage: Verhielt sich Verfassungsschutz-Chef Maaßen richtig? Maas und de Maizière sind da uneins.

Von Thorsten Jungholt, Uwe Müller

Thomas Strobl sieht die Sache pragmatisch. Die Entlassung des Generalbundesanwalts Harald Range durch Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) finde seine Zustimmung, sagte der stellvertretende CDU-Vorsitzende Strobl der “Welt”. Seine Begründung: “Der Kleinkrieg zwischen Generalbundesanwalt und Justizministerium konnte so nicht weitergehen.” Die Sicherheitslage sei so ernst wie noch nie, der islamistische Terror bedrohe Europa und Deutschland. In dieser Lage dürften sich Staatsorgane nicht gegenseitig schwächen: “Das sicherheitspolitisch absurde Theater ist jedenfalls beendet.”

Das allerdings dürfte eine Hoffnung bleiben. Denn nicht einmal in Strobls Partei herrscht Einigkeit über den Umgang mit der Causa Range. So wertet Jan-Marco Luczak (CDU), Vizevorsitzender des Rechtsausschusses im Bundestag, das Einschreiten des Justizministers als fragwürdige “politische Einflussnahme”. Der CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl bezeichnete Maas’ Entscheidung als “überzogen” und “falsch”.

Vor allem aber löst die Versetzung des Generalbundesanwalts  in den vorzeitigen Ruhestand keines der hinter dem Fall stehenden Probleme. Über den Details der sogenannten Landesverratsaffäre thronen nämlich große Fragen:

Wie lässt sich in Zeiten der Digitalisierung, in denen Enthüllungsplattformen wie Wikileaks oder kleine Internetportale wie “Netzpolitik.org” ganze als vertraulich gestempelte Schriftsätze im Netz veröffentlichen, noch so etwas wie ein Staatsgeheimnis schützen? Was ist das eigentlich genau, ein Staatsgeheimnis? Alles, was die Behörden dazu erklären? Was ist es wert im Verhältnis zur Pressefreiheit? Und genießen Plattformen, die Dokumente einfach nur ungeprüft publizieren, den Schutz dieser Pressefreiheit? Antworten darauf ist die Regierung durch den Rauswurf des Generalbundesanwalts nicht näher gekommen.

Range empfand informelle Hinweise als Einmischung

Im Gegenteil, der Justizminister hat nun ein weiteres Problem. Ranges Vorwurf, Maas habe per politisch motivierter Weisung in sein Ermittlungsverfahren gegen die Betreiber von “Netzpolitik.org” und damit in die Unabhängigkeit der Justiz eingegriffen, findet einigen Widerhall. Teile der Justiz begehren gegen den Justizminister auf.

So forderte der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Christoph Frank, ein Ende des Weisungsrechts der Justizminister gegenüber den Staatsanwälten. Es reiche, wenn die Entscheidungen der Strafverfolgungsbehörden künftig von Gerichten überprüft werden. Auch der Verein der Bundesrichter und Bundesanwälte beim Bundesgerichtshof warnte vor “schwerwiegenden Gefahren für den Rechtsstaat”. Man halte es jedenfalls für geboten, “die Einflussnahme des Bundesministeriums der Justiz auf das laufende Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts und die Hintergründe der Entlassung von Generalbundesanwalt Harald Range näher zu überprüfen”.

Nun wird sich bei einer solchen Überprüfung keine schriftliche Dienstanweisung von Heiko Maas an Range finden lassen. Es gab in den vergangenen Wochen nicht einmal einen direkten Kontakt zwischen den beiden. Range aber empfand offenbar eine Reihe von informellen Ratschlägen und Hinweisen bereits als Einmischung.

Insbesondere eine Pressemitteilung des Justizministeriums vom vorigen Freitag – in der Maas klarstellte, dass die von Range angeforderte Expertise eines neutralen Gutachters durch ein Behördengutachten des Ministeriums ersetzt werden solle – verstand der Generalbundesanwalt als faktische Weisung. In dem Gutachten geht es um die zentrale Frage, ob die von “Netzpolitik.org” veröffentlichten Dokumente des Bundesamtes für Verfassungsschutz zur geplanten Ausweitung der Internetüberwachung ein Staatsgeheimnis gewesen sein könnten.

De Maizière unterstützt Vorgehen des Verfassungsschutzes

Immerhin durfte sich Maas über die Rückendeckung der Bundeskanzlerin freuen. Die im Urlaub weilende Angela Merkel (CDU) ließ ihre Sprecherin mitteilen, der Justizminister genieße ihre volle Unterstützung. Bei einem Telefonat mit Maas am Dienstag habe Merkel jedenfalls “keine Einwände gegen das Vorgehen” des Ministers geäußert.

Die Frage, ob der Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, das volle Vertrauen der Kanzlerin habe, wollte die Sprecherin nicht beantworten. “Es ist im Geschäftsbereich des BMIs (Bundesinnenministeriums, d. Red.), diese Frage.” Geschlossen handelt das Kabinett jedenfalls nur auf den ersten Blick. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) nämlich stärkte Maaßen ausdrücklich den Rücken. Dieser habe sich “völlig korrekt” verhalten. De Maizière vertritt allerdings bezüglich der Ermittlungen gegen “Netzpolitik.org” eine gänzlich andere Position als Justizminister Maas.

Der Verfassungsschutz hatte die Affäre um Landesverratsermittlungen durch eine Strafanzeige erst ins Rollen gebracht – und hält das bis heute für richtig. Maaßens Behörde erstattete im Frühjahr zwei Strafanzeigen, nachdem “Netzpolitik.org” die vertraulichen Dokumente veröffentlicht hatte. Betroffen waren der Wirtschaftsplan 2013 der Verfassungsschützer (“Verschlusssache – geheim”) sowie Pläne für eine neue Fachabteilung zur Überwachung der Kommunikation im Internet (“Verschlusssache – vertraulich”).

Schon werden Rücktrittsforderungen an Maaßen laut

Sicherheitskreise betonen, Maaßen habe im Frühjahr richtig gehandelt. Auch früher seien immer wieder geheime Informationen aus den Diensten an die Presse gelangt. Doch da hätten die Journalisten meist nur über den Inhalt der Dokumente berichtet und diese bestenfalls in Auszügen gezeigt. Nun aber seien Papiere mehr oder minder vollständig ins Netz gestellt worden, was eine neue Qualität darstelle. Darauf habe Maaßen einfach reagieren müssen.

Seine Anzeigen adressierte Deutschlands oberster Verfassungsschützer an das Kommissariat 524 des Berliner Landeskriminalamtes (LKA), das sich um entsprechende Straftaten kümmert. Die Beamten dort schalteten den Generalbundesanwalt ein, weil sie den Anfangsverdacht sahen, dass die Blogger ein “Staatsgeheimnis” publik gemacht haben könnten. Lediglich in solchen Fällen ist Karlsruhe zuständig. Wäre es “nur” um ein “Dienstgeheimnis” gegangen, hätte das LKA Berlin die Anklage der Staatsanwaltschaft Berlin vorlegen müssen – und gegen die Aktivisten von “Netzpolitik.org” wäre kein Ermittlungsverfahren eröffnet worden.

Mit den Vorgängen vertraute Personen sagen, die Entscheidung, ob wegen des Verrats eines Staatsgeheimnisses oder der Verletzung eines Dienstgeheimnisses ermittelt wird, sei nicht von Maaßen beeinflusst und schon gar nicht von ihm entschieden worden. Deshalb sei es unfair, wenn der frühere Innenminister Gerhart Baum (FDP) Maaßen als “eigentlichen Brandstifter” bezeichne. Neben den Liberalen fordern auch Grüne und Linke den Rücktritt des Verfassungsschutz-Präsidenten.

Koalitionsfraktionen wollen erst im September beraten

Die Debatte darüber wird anhalten. Die Opposition im Bundestag hat bereits die Einberufung einer Sondersitzung des Rechtsausschusses gefordert – am besten schon am kommenden Freitag. Das lehnten Union und SPD allerdings ab. “Die Koalitionsfraktionen werden empfehlen, dass wir erst im September beraten”, sagte der rechtspolitische Sprecher der SPD, Johannes Fechner. “Wir sehen jetzt keinen aktuellen parlamentarischen Entscheidungsbedarf.”

Er begründete die Vorbehalte damit, dass unklar sei, ob dem Ausschuss bis Freitag alle Unterlagen vorgelegt werden könnten. Zudem sei die Möglichkeit der Ausschussmitglieder zur Anwesenheit durch die Urlaubszeit eingeschränkt. Grundsätzlich aber gebe es reichlich Klärungsbedarf. “Es gibt genügend Stoff zur Diskussion”, sagte Fechner. So müsse geklärt werden, warum Innenminister de Maizière von der Strafanzeige des Verfassungsschutzes nichts gewusst habe und die Information bei einer Staatssekretärin hängen geblieben sei.

Die Union wiederum wird eher über die Rolle von Justizminister Maas reden wollen. Die Entscheidung über eine Sondersitzung des Ausschusses liegt nun bei Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Thomas Strobls Hoffnung auf ein Ende des “sicherheitspolitisch absurden Theaters” jedenfalls wird sich vorerst wohl nicht erfüllen.

Der Artikel auf welt.de

WELT Investigativ Blog

Range räumte mit einem Märchen auf

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Range räumte mit einem Märchen auf

Nach der Entlassung des Generalbundesanwaltes steht die politische Unabhängigkeit der Strafverfolger infrage. In Wahrheit nehmen Justizminister Einfluss – mit heimlichen Weisungen und subtilem Druck.

Von Per Hinrichs, Thorsten Jungholt, Uwe Müller

Wo ist Range? Diese Frage kursierte am frühen Dienstagmorgen auf den Fluren des Bundesministeriums der Justiz in Berlin. Auf allen Kanälen versuchten die Mitarbeiter von Minister Heiko Maas (SPD), den Generalbundesanwalt in Karlsruhe ans Telefon zu bekommen.

Doch Harald Range war nicht erreichbar. Nicht in seinem Büro, nicht über seine Sekretärin, nicht über die Pressestelle. Kein Anschluss unter keiner Nummer. Der General tauchte erst um 9.30 Uhr wieder auf, live auf dem Fernsehbildschirm. Auf einem Blatt Papier hatte er eine Botschaft notiert, die er seinem Dienstherrn Maas ganz bewusst nicht am Telefon verkünden wollte. Sondern vor Zeugen, vor der Öffentlichkeit.

Die Botschaft lautete: Ich würde gern nach Recht und Gesetz ermitteln. Aber ich darf nicht. Der Justizminister will es nicht. Dann startete der oberste Ankläger der Republik eine Frontalattacke auf Maas: “Auf Ermittlungen Einfluss zu nehmen, weil deren mögliches Ergebnis politisch nicht opportun erscheint, ist ein unerträglicher Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz.”

Für Range war die Rebellion gegen den Minister das Ende seiner Karriere, ein paar Stunden später wurde er von Maas in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Er wird es verschmerzen können, in ein paar Monaten wäre der 67-Jährige ohnehin in Pension gegangen.

Für die Justiz aber könnte das Aufbegehren des deutschen Chefermittlers zu einer Zäsur werden. Denn Range räumte mit einem Märchen auf, das alle Justizminister, ob im Bund oder in den Ländern, gern und immer wieder erzählen: das Märchen von der politischen Unabhängigkeit der Staatsanwälte.

Natürlich gibt es ein Weisungsrecht des Justizministers

Jeder Jurastudent weiß, dass die Strafverfolger in Wahrheit nicht unabhängig sind. Anders als die Richter, denen niemand in ihre Arbeit hineinreden darf, sind Staatsanwälte weisungsgebunden. Das steht im Gerichtsverfassungsgesetz, seit 1879: “Die Beamten der Staatsanwaltschaft haben den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen.” Sie sind Teil der Exekutive, nachgeordnete Beamte, die parieren müssen. Eine Art verlängerter Arm der Politik. So weit die Rechtslage.

Und doch tun die Justizminister so, als gäbe es kein Weisungsrecht. Es wird allseits betont, dass auf staatsanwaltliche Ermittlungen kein politischer Einfluss genommen wird. Tatsächlich gibt es keine Statistiken über die Zahl der externen Weisungen. Offiziell kommen sie im Justizalltag nämlich nicht vor. Auch Heiko Maas betont stets, er halte nichts davon, die Bundesanwaltschaft anzuweisen. Das gehöre zu seinen Prinzipien.

Doch diese Beteuerungen sind scheinheilig. Wären sie ernst gemeint, könnte man das Weisungsrecht abschaffen. Die Vorschläge dafür liegen seit Langem auf dem Tisch. Aber sie werden nicht umgesetzt. Denn die Politik mag sich zwar nicht zum Weisungsrecht bekennen. Aber sie nimmt es wahr. Nicht schriftlich und damit transparent. Das würde bedeuten, Verantwortung zu übernehmen. Und der Einfluss der Politik würde offenbar. Also wird verdeckt angewiesen. Die Instrumente, den eigenen Willen heimlich durchzusetzen, heißen “Dienstbesprechung”, “Prüfbitte”, “Empfehlung” oder “Vereinbarung”. So lief es auch zwischen Range und Maas.

Am 21. April informierte der Bundesanwalt seinen Minister über den Eingang einer Anzeige des Bundesamtes für Verfassungsschutz gegen die Blogger des Internetportals “Netzpolitik.org” wegen der Veröffentlichung von vertraulichen Dokumenten des Inlandsgeheimdienstes. Der Vorwurf lautet: Landesverrat.

Ein heikler Verdacht mit schwierigen Abwägungen zwischen dem Grundrecht auf Pressefreiheit und den staatlichen Sicherheitsinteressen, das erkannte das Justizressort schnell. Also bat man um “sorgfältige Prüfung”, mahnte zu “Verhältnismäßigkeit”, machte “Zweifel” geltend. Nie gab es eine schriftliche Weisung, nie nahm Maas direkt Kontakt zu Range auf. Die Gespräche liefen auf Arbeitsebene, sie wurden geführt von Staatssekretärin Stefanie Hubig und Hans Georg Baumann, Leiter der Abteilung Strafrecht im Ministerium.

Die Regierungskoalition hält zusammen

Nachdem die Ermittlungen bekannt und in die Kritik geraten waren, distanzierte sich der Minister öffentlich: Er glaube nicht, dass es sich um Landesverrat handele. Maas gab sich als Kämpfer für die Pressefreiheit; die Rolle als Kämpfer für das Recht des Staates auf Geheimnisse ist nicht sonderlich populär. Er werde aber natürlich keinen Einfluss auf das laufende Verfahren nehmen, sagte Maas, der Generalbundesanwalt sei allein Recht und Gesetz verpflichtet. Man habe allerdings “vereinbart”, ein von Range beauftragtes Expertengutachten durch eines zu ersetzen, das vom Ministerium erstellt werde.

Vereinbart? Range verstand das als Weisung, vielleicht nicht als formale, aber als faktische. Das gestoppte Gutachten hätte ergeben, dass es sich bei den veröffentlichten Dokumenten um ein Staatsgeheimnis handelte, die Rechtsauffassung der Bundesanwaltschaft und des Verfassungsschutzes wäre dadurch bestätigt worden.

Das Gutachten des Justizministeriums kommt zum gegenteiligen Ergebnis: kein Staatsgeheimnis. Der von Maas angeordnete Verzicht auf die externe Expertise, heißt es nun in der Bundesanwaltschaft, sei einem rechtlich zweifelhaften Austausch von Beweismitteln gleichgekommen. In diesen juristischen Graubereich wollte der Beamte Range seinem Vorgesetzten nicht folgen.

Rückendeckung erhält Maas von CDU-Fraktionschef Volker Kauder. “Die Entlassung von Range war zwingend notwendig”, sagte er der “Welt am Sonntag”. “In einem besonderen Fall muss auch eine Weisung erfolgen. Wenn dies ein Generalbundesanwalt nicht akzeptieren kann, muss er die Konsequenz ziehen”, so der Fraktionsvorsitzende. “Im Übrigen: Als politischer Beamter seinen Dienstherrn öffentlich so anzugehen, war der Aufschrei: Entlasst mich!” Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) unterstützt Maas. Die Koalition hält zusammen.

Immer wieder erleben Staatsanwälte vergleichbare Begegnungen mit der Politik. Besonders drastisch versuchten Bayerns Politiker, die Strafverfolger zu steuern – wie etwa Europaministerin Beate Merk (CSU). Ende Juli begann vor dem Landgericht Augsburg der Strafprozess gegen die Chefetage des Möbelhauses Inhofer. In dem Verfahren geht es um die Hinterziehung von Steuern und Sozialabgaben.

Der Fall würde über die Betroffenen hinaus kaum interessieren, hätte sich Merk – damals noch Justizministerin – nicht eingeschaltet. Die “Augsburger Allgemeine” berichtet von glaubwürdigen Hinweisen “aus der Justiz”, nach denen Merk während der Ermittlungen im Dezember 2012 bei der Staatsanwaltschaft interveniert haben soll. Sie soll sich für die Freilassung eines inhaftierten Geschäftsführers eingesetzt haben, der wie sie aus Neu-Ulm stammt.

Merk bestreitet das ebenso wie die betroffene Staatsanwaltschaft. Eine schriftliche Weisung liegt nicht vor. Die Opposition fordert nun Aufklärung von Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU). Das Ergebnis steht jetzt schon fest: Es wird nichts herauskommen. Die Mauer des Schweigens steht.

Intransparenz über Eingriffe aus der Politik als Kernproblem

Kaum jemand weiß das aus eigener Erfahrung so gut wie Winfried Maier. Der frühere Augsburger Staatsanwalt ermittelte in den 90er-Jahren unter anderem gegen den CSU-Politiker Holger Pfahls, Max Strauß und den Waffenhändler Karlheinz Schreiber. Maier löste damit die CDU-Spendenaffäre aus. Bei ihren Ermittlungen wurden er und sein Kollege Jörg Hillinger massiv behindert. So zitierte der Vizegeneralstaatsanwalt die Ermittler zu sich und regte an, das Verfahren gegen Schreiber einzustellen. Aber Maier ließ sich nicht einschüchtern und machte weiter. Schreiber wurde nach einer jahrelangen Flucht zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.

Für Maier ist auch der Fall Range ein klassisches Beispiel, wie Politiker versuchen, sich bei der Strafverfolgung einzumischen. “Dieser Vorgang zeigt ganz typisch, dass niemand die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft will. Während im NSA-Fall vielleicht aus übergeordneten Gründen der Staatsräson Ermittlungen nicht gewollt sein mögen, wären Ermittlungen gegen zwei Blogger der Öffentlichkeit nicht vermittelbar”, sagt Maier.

Der Jurist wehrt sich nicht grundsätzlich gegen das Recht eines Ministers, die Staatsanwaltschaft zu kontrollieren. Dafür gibt es gute Gründe, die im Demokratieprinzip wurzeln. “Das Problem ist jedoch, dass Eingriffe aus der Politik intransparent bleiben.” Durch die Verpflichtung des Staatsanwalts, insbesondere bei Ermittlungen gegen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens über beabsichtigte Ermittlungsmaßnahmen vorab zu berichten, seien heimliche Absprachen nicht zu verhindern und würden gefördert. “Es ist ein Skandal ersten Ranges, dass solche Mauscheleien unter der Decke bleiben, wenn es um Hausdurchsuchungen oder Verhaftungen geht. Das sind immerhin massive Eingriffe in die Grundrechte, die offen dokumentiert werden müssen”, so Maier.

Der frühere Ermittler nennt die verdeckten Einflussnahmen “Augenzwinkerkartelle”: Es gibt kein offenes Verhältnis, weil es nichts Schriftliches gibt, nur Andeutungen und Erwartungen, die von oben an die Staatsanwaltschaft herangetragen werden. Und wer da nicht mitspielen will und eine schriftliche Anweisung anfordert, gilt als Quertreiber und Nestbeschmutzer – und das, obwohl eine solche Anweisung in der internen “Handakte” landen würde, die als Dienstgeheimnis geschützt ist. So dürfte ein Staatsanwalt über eine solche Anweisung gar nicht sprechen, da er sonst seine Verschwiegenheitspflicht verletzen und sich selbst strafbar machen würde. Das Risiko für den Politiker, bei einer solchen Hinterzimmeraktion erwischt zu werden, ist damit verschwindend gering.

Gleichzeitig erfahren die Dienstherren immer sofort, wenn eine Ermittlung gegen einen Politiker oder einen Prominenten anläuft: Denn die Staatsanwaltschaft ist dem Ministerium gegenüber in der Berichtspflicht, gibt also über die Generalstaatsanwaltschaft Meldungen an den Minister ab, gegen wen sie zu ermitteln gedenkt. Für Experten wie Maier ist dieses Verfahren geradezu eine Einladung, Verdächtige zu warnen. “Bei Ermittlungen gegen Regierungsbeamte oder Regierungsmitglieder steht der Staatsanwalt vor der unlösbaren Aufgabe, vorab an die Betroffenen oder deren Umfeld über geplante Ermittlungen zu berichten, ohne den Ermittlungszweck zu gefährden”, schrieb Maier schon 2003 in einem Aufsatz.

Fall Edathy war verheerend für die Justiz

Genau so lief es später im Fall des SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy. Weil der Niedersachse im Verdacht stand, sich kinderpornografisches Material verschafft zu haben, wurde er angeklagt. Im Februar dieses Jahres stellte das Landgericht Verden die Sache gegen die Zahlung von 5000 Euro ein. Im politischen Berlin aber löste die Sache ein Beben aus. Von Anfang an war in diesem Verfahren eine zentrale Vorschrift der Strafprozessordnung außer Kraft gesetzt, Paragraf 170, der lautet: “Das Ermittlungsverfahren ist nicht öffentlich.” Für Edathy galt das nie. Die halbe SPD-Spitze war schon im Bilde, als noch nicht einmal förmlich ermittelt wurde. Verantwortlich dafür: Ex-Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU).

Im Oktober 2013, die Union verhandelte gerade mit der SPD über die Bildung der großen Koalition, teilte Friedrich SPD-Chef Sigmar Gabriel mit, dass Material gefunden worden sei, das Edathy belaste. Gabriel weihte sogleich den damaligen Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und dessen Parlamentarischen Geschäftsführer Thomas Oppermann ein. Der verbreitete die Information weiter und rief einen sachkundigen Genossen an, um Einzelheiten über den Fall zu erfahren: Jörg Ziercke, Chef des Bundeskriminalamtes.

Im Nachhinein haben sowohl Ziercke als auch Oppermann bestritten, dass während des mehrminütigen Telefonats ein Informationsaustausch erfolgt sei. Etwas anderes wird man den Sozialdemokraten kaum nachweisen können. Friedrich musste zurücktreten, nachdem die Staatsanwaltschaft Berlin gegen ihn ein Verfahren wegen des Verdachts auf Geheimnisverrat eingeleitet und er das Vertrauen der Kanzlerin verloren hatte. Der Franke ist der Meinung, er habe politisch und rechtlich richtig gehandelt.

Für das Ansehen der Justiz war der Fall verheerend. Inzwischen ist bekannt, dass allein in Niedersachsen etwa 160 Personen von den Vorwürfen gegen Edathy wussten. Das wiederum nährt den Verdacht, dass der Politiker noch vor der Durchsuchung seiner Wohnung und mehrerer Büros gewarnt worden sein und wichtige Beweismittel beiseitegeschafft haben könnte. Allein die Vermutung, dass ein Beschuldigter auf diese Weise geschützt wurde, bedeutet für den Rechtsstaat ein Desaster.

Unabhängige Ankläger sind Demokratie-Standard – eigentlich

Christoph Frank, Oberstaatsanwalt in Freiburg und Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, kann der Diskussion um die tatsächliche Macht der Strafverfolger durchaus etwas Positives abgewinnen. Wie nie zuvor wird in Deutschland über die Arbeit der Staatsanwälte debattiert, die einerseits objektiv ermitteln sollen und andererseits ministeriellen Anweisungen folgen müssen. Diese “Zwitterstellung” will Frank abschaffen. Sein Verband, in dem über die Hälfte der rund 25.000 Richter und Staatsanwälte organisiert sind, will den Justizministern in Bund und Ländern die Befugnis nehmen, die Arbeit der Anklagebehörden durch Weisungen oder auf anderem Wege beeinflussen zu können.

Eigentlich sind politisch unabhängige Anklagebehörden längst Standard in fast allen westlichen Demokratien. Würde Deutschland heute einen EU-Aufnahmeantrag stellen, betont Frank, bekäme es vor diesem Hintergrund “große Probleme mit Brüssel”. Selbst das zentralistisch aufgebaute und streng hierarchisch organisierte Frankreich habe im vergangenen Jahr das Weisungsrecht gegenüber den Staatsanwälten abgeschafft. “Der politische Wille, mit dem diese Reform in dem Nachbarland angepackt wurde, sollte für uns ein Vorbild sein”, sagt der Richterbund-Chef.

In Italien können die Staatsanwälte seit einer Justizreform Ende der 80er-Jahre nahezu völlig eigenständig agieren. Dadurch konnten sie in den 90er-Jahren überhaupt erst Tausende Mammutverfahren gegen die Mafia führen, die tief in Politik und Wirtschaft eingedrungen war. Der deutsch-italienische Rechtsexperte Raoul Muhm aus München sieht bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität einen großen Vorteil im Vergleich zu Deutschland. Er hege die Befürchtung, dass die “deutschen Strafverfolgungsbehörden nicht über die notwendige Handlungsfreiheit verfügen, um dieser für Deutschland neuartigen Form der Kriminalität entgegenzuwirken”, schrieb er bereits 1996.

Jedenfalls führt das deutsche Weisungsrecht regelmäßig zu Spekulationen und Unterstellungen. “Da wird man in keinem Fall zweifelsfrei sagen können, ob es die Entscheidung der Staatsanwaltschaft war, ein Verfahren zu eröffnen – oder ob das auf politischen Einfluss hin geschah”, sagt Richterbund-Chef Frank. “Der böse Schein verschwindet nie.”

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Sachverstand in der Netzpolitik-Affäre? Nein, danke!

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Sachverstand in der Netzpolitik-Affäre? Nein, danke!

Ein unabhängiger Gutachter sollte im Auftrag des Generalbundesanwalts klären, ob Blogger ein Staatsgeheimnis publiziert haben. Doch Justizminister Maas hatte sich bereits auf das Ergebnis festgelegt.

Von Thorsten Jungholt, Uwe Müller

Blogger stellen vertrauliche Dokumente des Verfassungsschutzes ins Internet, der Chef des Geheimdienstes erstattet Strafanzeige. Der Generalbundesanwalt ermittelt wegen Verdacht auf Landesverrat oder Offenbarung von Staatsgeheimnissen. Der Justizminister wittert Gefahr für die Pressefreiheit und drängt auf das Ende der Ermittlungen. Der Karlsruher Chefankläger sieht darin eine unzulässige Einmischung. Der Minister entlässt ihn, das Verfahren wird eingestellt. Das ist in Kurzform die Zwischenbilanz jener Affäre, die über Wochen die Republik bewegte.

Man könnte auch sagen: Es ist eine Bilanz des Versagens führender Repräsentanten des Rechtsstaats. Denn die zentrale Frage des Falls ist fünf Monate nach der ersten Anzeige des Verfassungsschutzes  vom 21. März weiter ungeklärt: Haben die Blogger von “Netzpolitik.org” nun Staatsgeheimnisse publiziert oder nicht? Drei Sachverständigengutachten sind dazu erstellt worden. Zwei davon kann man getrost vernachlässigen, weil sie von den Interessen einer Partei geleitet sind. Eines stammt von einem hauseigenen Gutachter des Verfassungsschutzes.

Auf zehn Seiten kommt er zu dem Ergebnis, dass die Dokumente seiner Behörde natürlich Staatsgeheimnisse seien. Die zweite Expertise stammt aus der Feder von Juristen des Justizministeriums. Sie wurde im Eiltempo erstellt, nachdem Minister Heiko Maas (SPD) sich öffentlich darauf festgelegt hatte, was das Ergebnis zu sein hatte: natürlich keine Staatsgeheimnisse.

“Fremde Macht”

Bleibt das dritte Gutachten. Das wurde von Generalbundesanwalt Harald Range am 19. Juni mündlich, einen Monat später schriftlich in Auftrag gegeben, bei einem unabhängigen Hochschulprofessor, nennen wir ihn P. Bei dem jungen Wissenschaftler bestellte Range eine umfangreiche Einschätzung zu Paragraf 93 Strafgesetzbuch.

Der definiert, was ein Staatsgeheimnis ist, und zwar so: “Staatsgeheimnisse sind Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht geheim gehalten werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden.” Range gewährte P. eine Bearbeitungszeit bis Ende September – ohne Urlaub.

So viel Zeit benötigt ein seriöser Wissenschaftler schon, die Aufgabe ist keineswegs banal. Zunächst muss er sichten, was es an Vorveröffentlichungen gibt. “Netzpolitik.org” hatte nämlich nicht allein über die fraglichen Dokumente berichtet.

Zuvor hatten dies bereits das “Neue Deutschland” und die “Süddeutsche Zeitung” getan. Und ein Staatssekretär hatte im Parlament dazu referiert. Das alles wirkt juristisch “geheimnisentschärfend”. Anders gesagt: Was war vom Staatsgeheimnis überhaupt noch übrig? So ein Abgleich kann schon einige Wochen dauern.

Maas stoppte das Gutachten

Dann die Tatbestandsmerkmale. In wissenschaftlichem Schrifttum und in der Rechtsprechung ist dazu nicht viel zu finden. Was ist eine “fremde Macht”? Das ist eine Formulierung aus der Zeit des Kalten Krieges. Gemeint ist ein fremder Staat. Aber 1968, als der Paragraf ins Gesetz eingefügt wurde, sollte auch die DDR erfasst werden, und die war juristisch ja kein fremder Staat. Aber eine Macht. Doch was bedeutet das heute, da es keine DDR mehr gibt, aber dafür Gruppen wie IS oder al-Qaida? Kompliziert ist auch der Begriff “äußere Sicherheit”. Informationen zur Landesverteidigung könnten sie gefährden, so wie einst in der “Spiegel”-Affäre. Aber das Bundesverfassungsgericht hat 1999 auch Phänomene wie internationalen Drogenhandel oder währungsgefährdende Geldfälschung darunter gefasst.

Ein akribischer Wissenschaftler wie P. jedenfalls will all das beleuchten. Das geht weder auf zehn Seiten noch in fünf Tagen. Doch bis Ende September wollte Minister Maas, der unter Beobachtung der Öffentlichkeit stand, nicht warten. Er verfügte, den Auftrag an P. zu stoppen. Range folgte, obwohl er das für rechtswidrig hielt, machte aber noch schnell den Teil einer “vorläufigen Bewertung” des Gutachters publik, der ihm gefiel. Den Rest, der möglicherweise Maas gefallen hätte, verschwieg er.

Den beiden Würdenträgern ging es da längst nicht mehr um den Fall. Sondern um ihren Ruf. Aber das ist Politik und kein Staatsgeheimnis.

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WELT Investigativ Blog

Warum Gysi die Lafodödel-Affäre „peinlich“ findet

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Warum Gysi die Lafodödel-Affäre „peinlich“ findet

Gysi in der Heute Show

Der Auftritt war noch ein Tick witziger, eloquenter und souveräner als gewohnt. Gregor Gysi hat jetzt die ZDF-Satiresendung „Heute Show“ besucht, ein Format, in dem Politiker regelmäßig veralbert werden und von einem Politiker ziemlich viel Mut erfordert. Dieser Studiogast allerdings ließ sich nicht vorführen. Entspannt erzählte er davon, wie sehr er sich auf seinen neuen Lebensabschnitt freut. Der Politstar der Linkssozialisten wird ab dem 14. Oktober bloß einfacher Abgeordneter sein. Sein kräftezehrendes Amt als Fraktionschef will er niederlegen.

Bei einem politischen Thema fand Gysi jedoch überraschend deutliche Worte. „Heute Show“-Moderator Oliver Welke ersparte es seinem Gesprächspartner nicht, Stellung zur sogenannten Lafodödel-Affäre zu beziehen, die die „Welt“ enthüllt hatte. Dietmar Bartsch, der Gysi als Fraktionschef beerben will, hatte den 44-köpfigen Parteivorstand ausforschen und in ein Freund-Feind-Schema einteilen lassen. Dafür gab es die Kategorien „Z“ für zuverlässig, „U“ für unabhängig und „L“ für „Lafodödel“. Die Presse sprach daraufhin von „Stasi-Methoden“.

Gysi dachte gar nicht daran, seinen Parteifreund und langjährigen Wegbegleiter Bartsch zu schonen. So etwas, sagte er vor einem Millionenpublikum, „gehört sich bei uns einfach nicht“. Und weiter: „Es gibt Methoden und Stile, die man ablehnen muss.“ So viel Klartext, der sich sogar gegen den designierten Nachfolger richtet, gibt es in der Politik nicht oft. Nachfolgend dokumentieren wir Gysis Einlassungen im Wortlaut, die sich jeder auch in der ZDF-Mediathek anhören und anschauen kann.

Liste

Dokumentiert: Gregor Gysi zu Besuch bei Oliver Welke

Oliver Welke: Stasi ist ein gutes Stichwort. Einer ihrer Nachfolger als Fraktionsvorsitzender, Dietmar Bartsch, musste diese Woche ein paar mehr Interviews geben als sonst. Er hat 2012 Mitarbeiter angewiesen, quasi Akten anzulegen über den 44-köpfigen Parteivorstand. Da wurde in Freund-Feind-Gruppen eingeteilt. Abgeheftet unter „Z“ wie zuverlässig, „U“ wie unabhängig und „L“ für Lafodödel. [Publikum lacht] Lafodödel benannt natürlich nach dem Mann von Frau Wagenknecht. Solche Akten anlegen, ist das dann doch so eine Art DDR-Traditionspflege oder wie habe ich das zu verstehen?

Gregor Gysi: Na ja, es waren bloß Tabellen, es waren keine Akten. Aber trotzdem: peinlich genug! Es ist Jahre her …

Welke: … aber es ist jetzt nochmals öffentlich geworden und viele Ihrer Parteifreunde haben sich auch aufgeregt …

Gysi: … ja, na sicher. Und dann gab es damals aber Aussprachen mit dem Parteivorsitzenden. Es war so: Nach dem Göttinger Parteitag – das war ja ein spannender Parteitag, wo ich eine Rede hielt, die immer „Hassrede“ hieß, weil da das Ende der Fahnenstange bei mir erreicht war und da kann ich auch solche Reden halten – da wollte auch ich wissen, wie sind denn die Mehrheitsverhältnisse im neuen Parteivorstand. Aber mehr nicht! Und dann hat einer daraus – über Bartsch also – dann solche wahnsinnigen Tabellen angestellt. Da war ich höchst unglücklich. Weil das gehört sich bei uns einfach nicht. Es gibt Methoden und Stile, die man ablehnen muss. Und das gehört mit dazu. Aber das haben wir dann alles in Aussprachen geklärt. Jetzt ist es nochmals hochgekommen – na schön, müssen wir mit leben. Man muss auch mit eigenen Fehlern leben.

Welke: Man entwickelt sich ja weiter. Dieses Mal sind die Lafodödel ja nicht in Sibirien gelandet. Also, man muss das ja positiv sehen.

Gysi: Ja, Lafodödel, in Wirklichkeit steht das „L“ ja für links …

Welke: … ja, natürlich [lacht laut]

Gysi: … ja, nein, wirklich! Die Linken sozusagen …

Welke: Die Linken bei den Linken!

Gysi: Aber hören Sie zu, ich bin ein Fan von Lafontaine. Deshalb passe ich nicht dazu. Und ob ich ein Dödel bin, müssen Sie entscheiden.

Welke: [lacht] „D“ wie Dödel ist dann noch einmal eine Extragruppe!

investigativ.de

Deutschen Separatisten auf der Spur

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Deutschen Separatisten auf der Spur

Deutsche Österreichische Kämpfer im Donbass FOTO[1]

Man spricht deutsch. Separatisten bedanken für Spenden – in ihren Reihen kämpfen auch etliche Bundesbürger

Es war der Anfang einer langwierigen Recherche: Ein Kollege hatte erfahren, dass sich ein Deutscher über Russland ins Kriegsgebiet aufgemacht hatte. Wir durchforsteten daraufhin russische und deutsche soziale Netzwerke und stießen auf immer mehr Bundesbürger, die für die von Russland unterstützten Separatisten kämpften. Wir holten Melderegister- und Bonitätsauskünfte ein, besorgten uns alte Zeitungsartikel über die Personen, versuchten mit ihren Bekannten und Verwandten in Kontakt zu kommen und mit ihnen zu sprechen.

Mehr als ein Dutzend deutscher Staatsangehöriger, die in der Ostukraine auf Seiten der Separatisten kämpfen, konnten wir identifizieren. Sie stammen aus Frankfurt am Main, aus Essen, dem Raum Aachen oder dem hessischen Wetzlar. Sie nehmen an einem Krieg teil, der bereits mehr als 6000 Tote, meist Zivilisten, gefordert hat. Ihnen auf die Spur zu kommen und ihre Biografie zu rekonstruieren, war ein langer Weg. Das Ergebnis unserer wochenlangen Recherche haben wir trimedial aufbereitet und auf allen Kanälen der WELT-N24 Gruppe präsentiert: Ein großer Bericht in der “Welt am Sonntag”, die Nachricht auf Welt Online, und ein Film über den ersten gefallenen Deutschen in der Ostukraine auf N24 und auf welt.de.

Besonders berührt hat uns der Fall des Mannes aus Schweinfurt, der durch einen Granatsplitter sein Leben verlor. Um seiner Geschichte nachzuspüren, machten wir uns auf an seinen Heimatort Schweinfurt – wo wir uns mit früheren Weggefährten und seinem ehemaligen Kampfsporttrainer trafen.

Traueranzeige für den gefallenen Vitalij Pastuchow: Er wurde in Moskau beerdigt; seine deutschen Freunde zahlten die Überführung des Leichnams dorthin

Traueranzeige für den gefallenen Vitalij Pastuchow: Er wurde in Moskau beerdigt. Seine deutschen Freunde zahlten die Überführung des Leichnams dorthin

Aber auch der Fall eines erst 21 Jahre jungen Mannes aus Essen, der sich den Kampfnamen „Stierlitz“ gegeben hat und auf Facebook als „Nikolaj Blagin“ auftritt und von seinen „Heldentaten“ im Kriegsgebiet berichtet, hat uns bewegt. Seinen bürgerlichen Namen Blagaderov verschweigt er üblicherweise, an seiner ehemaligen Schule konnten sich aber noch viele gut an ihn erinnern. Blagaderovs Mutter zeigt sich uns gegenüber verschlossen – verständlich, wenn  das eigene Kind sein Leben leichtfertig aufs Spiel setzt. Nikolaj Blagaderov ist dagegen völlig unbeschwert. Noch vor einigen Wochen tauchte er im RheinRuhr Berufskolleg in Essen auf, wo er vor zwei Jahren seinen Hauptschulabschluss abgelegt hatte. Blagaderov war auf Fronturlaub. „Er kam in Uniform und war unheimlich stolz auf seinen Kampfeinsatz“, sagte uns eine Lehrerin.

Von unseren Recherchen zeigten sich sowohl das Bundesjustizministerium als auch das Auswärtige Amt überrascht. Angeblich haben sie überhaupt keine „belastbaren Erkenntnisse“ darüber, dass Bundesbürger 2500 Kilometer von ihrer Heimat entfernt für selbsternannte Volksrepubliken ihr Leben riskieren. Das ist wenig glaubwürdig: In Gesprächen mit Vertretern deutscher Sicherheitsbehörden wurde uns dann aber bestätigt, was wir zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon vermuteten: Mehr als 100 deutsche Kämpfer gibt es offenbar in der Ostukraine. Der vermutlich erste und bislang einzige von ihnen, der für die Mission der Rebellen sein Leben ließ, ist der 33-jährige Vitalij Pastuchow – die Hauptfigur in unserer Geschichte.

investigativ.de

Von der Leyen muss Akten zu Mundlos herausgeben

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Von der Leyen muss Akten zu Mundlos herausgeben

Interner Vermerk der Bundeswehr zu Uwe Mundlos: Trotz offenkundig rechtsextremer Gesinnung war keine Entlassung aus der Truppe vorgesehen. Weitere Skandale dieser Güte verbergen sich möglicherweise in den Akten, die das Verteidigungsministerium unter Verschluss hält

Bei den rechtsextremen Vorkommnissen in der Bundeswehr inszeniert sich Ursula von der Leyen als Aufklärerin. Ganz anders verhält sich die Verteidigungsministerin im bislang schwersten Fall: Uwe Mundlos, Mitglied der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU), hatte sich bereits während seines Wehrdienstes radikalisiert. Doch Akten zum Komplex Mundlos will das Ministerium der Öffentlichkeit nicht zur Verfügung stellen. Die WELT klagte 2012 aufgrund des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) dagegen und hat jetzt erstmals Erfolg.

Kopie des Truppenausweises von NSU-Terrorist Uwe Mundlos

Das Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen wies das Ministerium in einem Urteil (Az.: 15 A 1578/15) an, insgesamt 5132 Seiten zum Komplex Mundlos herauszugeben. Rechtsanwalt Christoph Partsch, der die Klage für Axel Springer eingereicht hatte, wertet dies als „Erfolg für die Pressefreiheit“. Gegen die Entscheidung kann noch Revision beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingelegt werden. Die Dokumente wurden bislang dementsprechend noch nicht übergeben.

Download (PDF, 8.42MB)

 

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Das Netzwerk der radikalen Rechten in Mitteldeutschland

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Das Netzwerk der radikalen Rechten in Mitteldeutschland

Derzeit gilt Chemnitz als Hochburg der rechten Szene in Sachsen. Doch das Netzwerk der extremen Rechten – darunter Hooligans und Heimatschützer, Kampfsportler und Rechtsrocker – reicht weit über die Stadtgrenzen hinaus.

Download (PDF, 2.79MB)

  1. In Halle an der Saale wohnen Aktivisten unter dem Namen Kontrakultur in einem der größten deutschen Zentren der Identitären Bewegung.
  2. In Schnellroda betreibt Götz Kubitschek das Institut für Staatspolitik und den Antaios Verlag. Auf seinem Rittergut finden auch Schulungen für rechtsextreme Kader statt.
  3. Im Erzgebirge fungieren einige Heimatvereine als Scharniere zwischen lokalen Rechten und Organisationen oder Parteien wie der Identitären Bewegung oder der NPD.
  4. In Dresden gewann Pegida zum Jahreswechsel 2014/15 stark an Zulauf. Das islamfeindliche Bündnis gilt als Vernetzungsplattform für unterschiedliche Strömungen der rechten Szene. Neben den Pegida-Anführern Lutz Bachmann und Siegfried Däbritz beteiligten sich auch die AfD-Politiker Björn Höcke und Andreas Kalbitz an den Demonstrationen in Chemnitz.
  5. In Ostritz an der Neiße bot das Festival „Schild und Schwert“ im April 2017 Musik, Vorträge und Kampfsport und zählte 1200 Teilnehmer. Anfang November will der Thüringer NPD-Mann Thorsten Heise das Vernetzungstreffen wiederholen. Die Zahl rechtsextremer Musikveranstaltungen in Sachsen ist zuletzt stark gestiegen.
  6. In Oybin im Zittauer Gebirge sammelt das Bürgernetzwerk „Ein Prozent“ Geld für die rechte Szene.

Lesen Sie hier eine Analyse von Claus Christian Malzahn und Sebastian Gubernator. 

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Leipziger Richter stärken Rechte von Journalisten beim Schutz der privaten Adresse

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Leipziger Richter stärken Rechte von Journalisten beim Schutz der privaten Adresse

Mit einem wegweisenden Beschluss hat das Verwaltungsgericht Leipzig jetzt die Rechte von Journalisten gestärkt, die ihre Privatadresse schützen wollen. Rechtsgrundlage dafür ist Paragraf 51 (1) des Bundesmeldegesetzes (BMG). Auf Antrag müssen Meldebehörden für solche Personen eine Auskunftssperre im Melderegister eintragen, bei denen anzunehmen ist, dass ihnen „durch eine Melderegisterauskunft eine Gefahr für Leben, Gesundheit, persönliche Freiheit oder ähnliche schutzwürdige Interessen erwachsen kann“.

Bei Journalisten, die zu Aktionen extremistischer Gruppierungen oder populistischer Bewegungen, Machenschaften fremder Geheimdienste sowie Hintergründen der organisierten Kriminalität recherchieren, kann eine derartige Gefährdung zumeist unterstellt werden.

Für Entsetzen gesorgt haben in der Slowakei und auf Malta die Fälle von Ján Kuciak und Daphne Caruana Galizia. Die beiden Enthüllungsjournalisten hatten über illegale Verbindungen zwischen Politik und Wirtschaft berichtet und wurden offenkundig deshalb heimtückisch ermordet – mitten im Rechtsraum der Europäischen Union.

In Deutschland wiederum ist die Gewalt gegen Journalisten zuletzt deutlich angestiegen, wie das European Centre for Press & Media Freedom (ECPMF) jüngst in der Studie „Feindbild ,Lügenpresse’“ dokumentiert hat. Am stärksten von Attacken bedroht sind laut Untersuchung in Sachsen arbeitende Journalisten. Ausgerechnet in diesem Bundesland verweigern Meldebehörden jedoch Vertretern der Presse besonders häufig den gebotenen Schutz. Nicht selten werden dabei Anträge auf Eintragung einer Auskunftssperre monatelang verschleppt. Dieser Praxis hat das Leipziger Verwaltungsgericht nun einen Riegel vorgeschoben. (VG Leipzig, Az.: 3 L 1191/18)

 

Die Verwaltungsrichter haben die Stadt Leipzig im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, zu Gunsten eines Investigativreporters der WELT für die Dauer von längstens zwei Jahren eine Auskunftssperre im Melderegister einzutragen – bis über dessen bislang abgelehnten Antrag eine Entscheidung in der Hauptsache vorliegt. Anders als die Stadt Leipzig gehen die Richter davon aus, dass der Reporter schlussendlich Recht bekommen wird: „Nach summarischer Prüfung ist davon auszugeben, dass der Antragsteller einen Anspruch auf Eintragung einer Auskunftssperre hat“, heißt es in dem Beschluss. Die Kosten des Verfahrens muss die Stadt Leipzig tragen.

Die Stadt Leipzig hatte argumentiert, dass für Journalisten, auch wenn sie im investigativen Recherchebereich tätig sind, kein Sonderrecht gelte. Die an eine Eintragung einer Auskunftssperre zu stellenden Voraussetzungen seien „immens“. Solche immensen Anforderungen stellt die Verwaltung bei Beamten und Richtern, selbst wenn sie nicht in sensiblen Bereichen tätig sind, erstaunlicher Weise nicht. Anders verhält sich das bei Journalisten. Hier wollte die Stadt Leipzig das Vorliegen einer Gefährdung nur dann bejahen, wenn sie sich nachweislich in einer konkreten und aktuellen Bedrohungssituation im privaten Umfeld des Antragstellers manifestiere. Doch eine derart rigorose Auslegung der Vorschrift im Bundesmeldegesetz ist nach Überzeugung der Richter nicht statthaft.

„Vier Monate Kampf“: Auch „Zeit“-Autor Christian Fuchs hatte Probleme mit der Meldebehörde der Stadt Leipzig

Nach ihrer Begründung genügt es, wenn jemand aufgrund „seiner konkreten beruflichen Tätigkeit einer abstrakten Gefahr“ ausgesetzt ist. „Einer darüber hinausgehenden konkreten Gefahr, die sich in bereits eingetretenen Rechtsgutsverletzungen, Drohungen oder zumindest während der bestehenden Auskunftssperre getätigten verdächtigen Auskunftsersuchen manifestiert haben könnte, bedarf es für die Annahme einer abstrakten Gefahr – entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin – nicht.“

 

 

 

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