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Kouachi-Brüder standen auf deutscher Terrorliste

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Kouachi-Brüder standen auf deutscher Terrorliste

Die Täter von Paris standen bei deutschen Behörden namentlich im Computer. Sie hatten zwar keinen Kontakt zur deutschen Dschihadisten-Szene, doch ist die Terrorgefahr hierzulande ebenfalls gestiegen.

Von Dirk Banse, Martin Lutz,  Uwe Müller

Kaum waren die Namen der Attentäter bekannt, hakten die deutschen Sicherheitsbehörden in Paris nach. Sie wollten umgehend wissen, ob die Terroristen Kontakte in die hiesige Dschihadistenszene hatten. Die Entwarnung kam rasch. Ein Vertreter der Berliner Sicherheitskreise sagte: “Unsere französischen Kollegen teilten uns mit, dass die erfasste Kommunikation keine deutsche Kennung hat. Es wurden auch keine Telefonate mit der deutschen Vorwahl 0049 registriert.”

Die Erleichterung in Berlin war groß. Zumindest eine konkrete Bedrohung, dass es zu ähnlichen Szenen wie im Nachbarland kommen könnte, war damit weniger wahrscheinlich. Die deutschen Sicherheitsbehörden wussten zu diesem Zeitpunkt allerdings längst, dass die Brüder Saïd und Chérif Kouachi, 34 und 32 Jahre alt, als gewaltbereite Islamisten galten. Ihre Daten waren in deutschen Computern gespeichert. Frankreich hatte die Namen ins Schengener Informationssystem eingespeist.

Wären die Kouachi-Brüder nach Deutschland gereist und dabei in eine Polizeikontrolle geraten, hätte man dies den Franzosen gemeldet. Die Kooperation der beiden Länder gilt als vorbildlich. Das zeigte sich besonders in dieser Woche, in der die Franzosen ihre Erkenntnisse ständig an die Deutschen übermittelten. Sicherheitskreisen zufolge würden andere EU-Staaten in vergleichbaren Situationen deutlich zurückhaltender agieren. Während die Deutschen fast ausschließlich auf die Informationen der befreundeten Geheimdienste angewiesen waren, hatten amerikanische Kollegen eigene Erkenntnisse. Sie unterrichteten die Partner in Europa darüber, dass einer der Kouachi-Brüder 2011 im Jemen in einem Terrorcamp von al-Qaida ausgebildet worden war. Er soll sich auch im Sultanat Oman aufgehalten haben, wo die Gesetze der Scharia gelten. Die Brüder standen auf der Flugverbotsliste der Amerikaner.

Das Bundeskriminalamt (BKA) hat inzwischen eine interne Analyse zur Bedrohungslage erarbeitet. Besondere Formen der Islamkritik können sich demnach “bundesweit als Tatimpuls für islamistisch motivierte Gewalt gegen Privatpersonen, Medien(vertreter), öffentliche Sicherheitsorgane und deren Personal eignen”, heißt es in dem Papier. Das BKA schließt insbesondere Terroranschläge auf Redaktionen deutscher Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehsender nicht aus. Dazu könne es “jederzeit” kommen. Seit dieser Einschätzung patrouillieren Sicherheitskräfte vor Medienhäusern, insbesondere in Berlin und Hamburg. Die Wiesbadener Behörde befürchtet, dass Terroristen auf “möglichst hohe Opferzahlen und ein Maximum an infrastrukturellem und wirtschaftlichem Schaden” zielen – “bei größtmöglicher medialer Aufmerksamkeit”.

Beunruhigend sei, heißt es in Sicherheitskreisen, dass die Behörden zu wenig Personal hätten, um alle als besonders gefährlich eingestuften Dschihadisten lückenlos zu überwachen. Etwa 550 von ihnen sind in jüngster Zeit nach Syrien oder Irak ausgereist. Rund 180 davon sind inzwischen zurückgekehrt. Wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft bei der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) hat ein Spezialeinsatzkommando der Polizei in Nordrhein-Westfalen am Samstag den 24-jährigen Nils D. festgenommen. Er soll im Oktober 2013 nach Syrien ausgereist sein und sich zumindest bis zu seiner Rückkehr im November 2014 als Mitglied an dieser terroristischen Vereinigung beteiligt haben. Ein Zusammenhang mit den terroristischen Anschlägen in Frankreich bestehe nicht, teilte die Generalbundesanwaltschaft mit.

Zu Beginn des Jahres war ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der “Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat” gegen den Beschuldigten eingeleitet worden. “Falls es in Deutschland zu einem Terroranschlag kommen sollte, könnte es also gut sein, dass wir den oder die Täter bereits als Gefährder auf der Liste hatten”, sagte ein einflussreicher Beamter. Durch die Ereignisse in Frankreich sei die Anschlagsgefahr insgesamt größer geworden, auch weil man Nachahmer fürchten müsse. Gleichwohl sei es unmöglich, alle gewaltbereiten Islamisten rund um die Uhr zu observieren.

Austausch von Fluggastdaten soll endlich kommen

Nachdem die französischen Einsatzkräfte den Terrorspuk beendet hatten, werden die Ereignisse der letzten Tage auf höchster politischer Ebene besprochen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) wird an diesem Sonntag von seinem französischen Amtskollegen Bernard Cazeneuve in Paris empfangen. Er will mit weiteren EU-Amtskollegen eine Erklärung abgeben. Die Runde plant zudem, über erste Konsequenzen zu beraten. Nach Informationen de “Welt” wollen die EU-Staaten das seit Längerem geplante Abkommen über den Austausch von Fluggastdaten (PNR) endlich auf den Weg bringen. Das Thema soll beim Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs am 12. Februar in Brüssel eine Rolle spielen.

Fluggesellschaften speichern sogenannte PNR-Daten (Passenger Name Record). Dazu gehören sämtliche Buchungs- und Flugdaten mit bis zu 60 Einzelangaben wie Anschriften, E-Mail-Adressen und Kreditkartennummern der Fluggäste. Hätten die europäischen Sicherheitsbehörden darauf Zugriff, könnten sie Profile über Reisen von Extremisten anlegen. Damit wäre es möglich, verdächtige Bewegungen von Kämpfern aus dem Irak und Syrien, die nach Europa zurückkehren wollen, frühzeitig auszumachen.

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