Ein Sieg für die Pressefreiheit
Die Mühlen der Justiz mahlen bekanntlich langsam – in diesem Fall insgesamt mehr als fünf Jahre. Wenn am Ende allerdings ein großer Sieg für die Pressefreiheit steht, lässt sich die lange Dauer eines solchen Rechtsstreits verschmerzen.
Doch der Reihe nach: Am 15. August 2007 berichtete die „Welt“ unter der Überschrift „Stasi-Filz bei Gazprom“ über zwei Top-Manager der Deutschland-Tochter des russischen Energieriesen: den Personalchef Hans-Uve Kreher (er hatte der SED-Geheimpolizei unter den Decknamen „Roland Schröder“ und „Hartmann“ als Inoffizieller Mitarbeiter gedient) und den Finanzdirektor Felix Strehober (er arbeitete heimlich als sogenannter „Offizier im besonderen Einsatz“ für die Stasi).
Beide Führungskräfte der Gazprom Germania, die nicht zuletzt als Sponsor des Bundesligisten Schalke 04 bekannt ist, wollten daraufhin verhindern, dass die Wahrheit über ihre Vergangenheit öffentlich benannt werden darf. Deshalb schalteten sie die für ihre nicht gerade feinen Methoden bekannte Berliner Rechtsanwaltskanzlei Schertz Bergmann ein.
Einer der Mandanten der Kanzlei, Felix Strohober, versuchte daraufhin vor dem Landgericht Köln sogar, der „Welt“ mit einer offenkundig falschen Versicherung an Eides Statt einen Maulkorb zu verpassen. Wahrheitswidrig behauptete der Ex-Stasi-Offizier im September 2007, er sei „niemals Angestellter oder sonst wie hauptamtlicher Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit“ gewesen. Nachdem die „Welt“ in dem Verfahren umfangreiche Dokumente aus der Stasi-Unterlagen-Behörde vorgelegt hatte, aus denen das glatte Gegenteil hervorgeht, wurde die Staatsanwaltschaft aktiv. Sie leitete gegen Strehober ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung ein. Stellt sich rückblickend die Frage, warum die Kanzlei Schertz Bergmann dem Gazprom-Manager damals nicht dringend davon abgeraten hat, dem Gericht eine solche Erklärung vorzulegen. Schließlich war dessen Verstrickung mit dem früheren SED-Geheimdienst offenkundig. Zwar wurde das Verfahren gegen Strehober im Oktober 2008 eingestellt, allerdings erst, nachdem dieser einen hohen Geldbetrag bezahlt hatte. Selbstverständlich berichtete die „Welt“ auch darüber.
Das missfiel Strehober ebenfalls. Nun verlangte er von dem Online-Portal der „Welt“, eine Meldung über das Ermittlungsverfahren für immer zu löschen. Eine seiner Begründungen: Die Sache mit der falschen eidesstattlichen Versicherung falle ja nicht in den Bereich der schweren Kriminalität, auch sei er deshalb nicht rechtskräftig verurteilt worden. Doch mit diesem Argument verlor Strehober im August 2011 einen Prozess vor dem Landgericht Hamburg. In der nächsten Instanz, vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht, unterlag dann die „Welt“ im November 2011. Jetzt hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes das letzte Wort gesprochen – und mit seinem Urteil, so sieht es die Nachrichtenagentur dapd, „die Pressefreiheit im Internet gestärkt“. Der BGH schreibt in seiner Pressemitteilung zu der Entscheidung: Die „Welt“ habe „wahrheitsgemäß und sachlich ausgewogen über die Einleitung und die Hintergründe des Ermittlungsverfahrens gegen den Kläger berichtet“. Der Artikel setze sich kritisch mit der Frage auseinander, wie Strehober „mit seiner Stasi-Vergangenheit umgeht“ und leiste „damit einen Beitrag zur Meinungsbildung in einer demokratischen Gesellschaft“. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Nachtrag: Bereits bei ihrer ersten Veröffentlichung im August 2007 wollte die „Welt“ von Altbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) wissen, was er vom Stasi-Filz im Gazprom-Reich hält. Schließlich bekleidete Schröder den Posten des Vorsitzenden des Aktionärsausschusses der Gazprom-Mehrheitsbeteiligung Nord Stream, die die sogenannte Ostsee-Pipeline baut. Damaliger Geschäftsführer unter Schröders Aufsicht: der Ex-Stasi-Auslandsagent Matthias Warnig. Der Altbundeskanzler richtete unserer Redaktion seinerzeit lediglich aus: „Gegen die Verbreitung von Unwahrheiten wird er sich gerichtlich zur Wehr setzen.“