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Vom Stasi-Lehrling zum Topmanager in Russland

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Vom Stasi-Lehrling zum Topmanager in Russland

Ein Sachse steigt in Moskau zum Vizeverlagschef auf. Jüngst löste er den Vertrag mit einem Redakteur auf: Ein Eklat, der durch die Stasi-Vergangenheit des Managers in neuem Licht erscheint.

Von Dirk Banse, Michael Ginsburg und Uwe Müller

Andreas Setzepfandt hat ein Herz für Russland. Der Leipziger lebt seit rund 15 Jahren in Moskau, wo er Vizegeneraldirektor und Personalchef von Burda Russland ist. Der Ableger des Münchner Verlags beschäftigt mehr als 400 Mitarbeiter, gibt Luxus-, Lifestyle- sowie Computer-Zeitschriften heraus. Setzepfandt engagiert sich zudem ehrenamtlich in der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer. Dort ist er stellvertretender Vorsitzender und leitet das Komitee für Personalfragen.

Der 44-Jährige lässt kaum eine Gelegenheit aus, um deutsche Arbeitgeber darauf hinzuweisen, dass sie ihre Angestellten in Russland pflegen sollten. Er empfiehlt, Betriebskindergärten zu gründen, eine Ausweitung der Telearbeit zu prüfen und an Klimaanlagen für die Mitarbeiter zu denken. Vor einem halben Jahr allerdings hat das Bild vom verständnisvollen Personaler einen hässlichen Kratzer erhalten.

Kritik an der Feindseligkeit auf Facebook

Es war im Februar 2014, als Setzepfandt in eine Affäre geriet und einen öffentlichen Proteststurm auslöste. Damals sagte der Moskauer Journalist Dmitri Schulgin, er habe aus politischen Gründen seinen Job bei Burdas Magazin “Computerbild Russia” verloren. Der Redakteur hatte auf seinem Facebook-Profil die Feindseligkeit gegenüber der Ukraine kritisiert: “Mein Land ist krank, wie die Deutschen in den 30er- bis 40er-Jahren des letzten Jahrhunderts.” Solche Kommentare seien ihm zum Verhängnis geworden, behauptete Schulgin anschließend.

In Deutschland ergriff die “tageszeitung” sogleich Partei für den Kollegen. “Burdas freiwillige Unterwerfung” titelte das Blatt und unterstellte damit dem Verlagshaus Duckmäusertum gegenüber dem Kreml. Der Buchautor Jürgen Roth fragte: “Burda-Verlagshaus als Handlanger des KGB/FSB in Moskau?”

Dafür gibt es keinen Beleg. Die “Welt” ist jetzt allerdings auf einen anderen Geheimdienstbezug gestoßen: Burdas Moskauer Statthalter Setzepfandt war als junger Mann hauptamtlicher Mitarbeiter des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und wurde darin geschult, wie man politische Gegner effektiv bekämpft.

Keine Veranlassung, die Stasi-Tätigkeit zu melden

Über diesen Teil seiner Vergangenheit hat Setzepfandt bis zur Anfrage dieser Redaktion weder seinen Arbeitgeber Burda noch die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer informiert. “Weil ich keine Veranlassung sah, diese Tätigkeit aus sehr frühen Jahren anzugeben”, begründet er sein Schweigen. Das Thema sei für ihn mit dem Zusammenbruch der DDR abgeschlossen gewesen. Der Sachse will auch nie seine Akte über die Zeit als MfS-Angehöriger eingesehen haben.

Die Dokumente aus dem Stasi-Unterlagenarchiv, die der “Welt” vorliegen, führen direkt zurück zu den Anfängen der Friedlichen Revolution in Leipzig. Während dieser Freiheitsbewegung stand Setzepfandt auf der falschen Seite der Geschichte. In der MfS-Kreisdienststelle Leipzig-Stadt wurde er ab Herbst 1988 an “ausgewählte Probleme der Bekämpfung der politisch-ideologischen Diversion (PID)/politischen Untergrundtätigkeit (PUT)” herangeführt, wie in seinem “Einarbeitungsplan” vermerkt ist. So wurde der Stasi-Lehrling darin geschult, “operative Ermittlungen und Beobachtungen” durchzuführen.

Exzellente Arbeit bei Ermittlungsberichten

Sein Vorgesetzter lobte in bürokratischem Deutsch, der neue Mitarbeiter habe beim “Anfertigen von Ermittlungsberichten, zusammengefassten Auskunftsberichten oder einer aus der Analyse gefertigten zusammengefassten Information” exzellente Arbeit geleistet. Setzepfandt lauschte auch Vorträgen von erfahrenen Kollegen zu Themen wie “Hauptaufgaben und Grundprinzipien der Arbeit des MfS”, “Erkennen von Anzeichen feindlicher Tätigkeit” und “Wachsamkeit, Geheimhaltung und Konspiration”.

Obwohl Stasi-Chef Erich Mielke seinerzeit in Leipzig “Provokateure, Randalierer, Rowdys und andere Kriminelle” wegen “Zusammenrottung” niederprügeln und ins Gefängnis stecken ließ, strebte Setzepfandt genau in dieser Phase eine Offizierskarriere in der Geheimpolizei an. Deshalb nahm er noch am 4. September 1989, als in seiner Heimatstadt immer mehr Bürger gegen das SED-Regime aufbegehrten, ein Studium an der MfS-eigenen Juristischen Hochschule auf. Doch schon im Januar 1990 wurde die Potsdamer Stasi-Universität abgewickelt.

Setzepfandt blieb in der Stadt und studierte Jura an einer gewöhnlichen Hochschule. “Für mich hat damals ein neues Leben begonnen”, sagt der Manager heute. Ein Leben, in dem er sich bestens etablierte: Im August 1999 wurde er in Dresden als Rechtsanwalt zugelassen. Dann ging es nach Moskau, er arbeitete dort zunächst für zwei namhafte Kanzleien, Beiten, Burkhardt, Mittl & Wegener sowie Lovells. Seine Stasi-Zugehörigkeit sieht er rückblickend als Fehler: “Heute würde ich anders entscheiden.”

Auslandshandelskammer bedauert den Vorfall

So einfach wird sich diese Sache aber nicht ad acta legen lassen. Die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer, mit rund 850 Mitgliedsfirmen wichtigste Anlaufstelle im bilateralen Geschäft, zeigt sich überrascht von der Verstrickung ihres Vizechefs. Auf Anfrage schreibt sie: “Wir bedauern, dass Herr Setzepfandt sich nicht im Vorfeld zu seiner Vergangenheit geäußert hat”.

Rainer Seele, Präsident der Organisation und Vorstandschef des Kasseler Öl- und Gaskonzerns Wintershall, betont, Setzepfandts Stasi-Zugehörigkeit sei ihm “persönlich in keiner Weise bekannt” gewesen. Die Kammer stelle an die Kandidaten für den Vorstand sehr hohe Anforderungen. Allerdings sehe die Satzung keine Überprüfung von Personen durch Organe der Bundesrepublik Deutschland vor, schreibt Seele weiter.

Redaktionen scheuten Prozesse nicht

Für das Verlagshaus Burda ist der Vorgang besonders heikel. Magazine wie “Focus” und “Superillu” haben mehrfach Stasi-Fälle aufgedeckt. Um die Namen der Geheimdienstmitarbeiter publik machen zu können, scheuten die Redaktionen auch langwierige Prozesse nicht. Jetzt sieht sich ein Manager im eigenen Unternehmen mit seiner Stasi-Vergangenheit konfrontiert. “Wir nehmen dieses Thema sehr ernst und führen mit Herrn Setzepfandt daher auch entsprechende Gespräche”, teilt die Münchner Zentrale mit.

Allerdings sieht der Verlag keinen Grund, die Affäre um den Redakteur Schulgin neu zu bewerten. Der Journalist hat seinen Job bei “Computerbild Russia” längst verloren. Obwohl Personalchef Setzepfandt das Ende des Arbeitsverhältnisses persönlich besiegelt hat, will Burda diese Akte nicht wieder aufmachen. In Schulgins Arbeitsbuch, einem Dokument, in dem alle beruflichen Stationen von Arbeitnehmern in Russland aufgeführt werden müssen und das der “Welt” vorliegt, prangt an der entsprechenden Stelle der Stempel des Managers: “Chef der Abteilung Arbeit mit dem Personal, A. Setzepfandt”.

Nach Darstellung von Burda ist der Verlag am 20. Februar mit dem Eintrag von Schulgin auf dessen privater Facebook-Seite konfrontiert worden. Dort habe der Angestellte allerdings angegeben, bei Burda Russland zu arbeiten. Laut Verlag ist ihm in einem Gespräch mitgeteilt worden, dass sich Burda Russland von seiner privaten Meinung distanziere. Daraufhin habe Schulgin seine Kündigung eingereicht, Druck sei nicht ausgeübt worden.

Aufforderung, das Unternehmen zu verlassen

Der Betroffene hingegen sagt, er sei von seinen Vorgesetzten zunächst gedrängt worden, öffentlich zu erklären, der Eintrag stamme nicht von ihm. Er könne ja sagen, man habe seinen Account gehackt. Er sei aber nicht bereit gewesen zu lügen, sagt Schulgin. Deshalb habe man ihm gedroht, dafür zu sorgen, dass er als “Extremist” kein Visum mehr für den europäischen Schengen-Raum erhalten werde. Das empfand der Redakteur als ultimative Aufforderung, Burda zu verlassen.

Ein weiterer Facebook-Eintrag, der ihm viel Ärger einbrachte, hat folgenden Wortlaut: “Wenn ich auf der Arbeit und in der Metro die Gespräche höre, habe ich den Eindruck, dass 99,9 Prozent der Russen gleich ein Loblied auf (den Ende Februar 2014 abgesetzten ukrainischen Präsidenten) Janukowitsch singen werden und dazu aufrufen, alle Ukrainer aufzuhängen.” Diese Einschätzung wurde im Netz diskutiert, und ein Nutzer drohte Burda Russland: “,Computerbild Russia’, in diesem Fall sucht Euch einen neuen Mitarbeiter. Wir schicken einen Brief an die Staatsanwaltschaft.”

Der Ex-Vorsitzende des russischen Journalistenverbandes, Igor Jakowenko, hat jetzt im Gespräch mit dieser Redaktion angekündigt, er werde wegen der Affäre Schulgin den Deutschen Journalisten-Verband einschalten. Mit Schulgin zusammen baue er gerade eine Interessenvertretung auf. Ihr Name: “Journalistische Solidarität”.

Der Artikel auf welt.de

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