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Wowereits Fiasko

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Wowereits Fiasko

Als das Flughafenprojekt der Hauptstadt erstmals ins Trudeln geriet, versprach Berlins Regierender Bürgermeister volle Transparenz. Jetzt vertuscht er, wo er nur kann. Als Landeschef ist er damit nicht länger tragbar

Von Uwe Müller

Klaus Wowereit mag es gern schnoddrig. Als erste Zweifel aufkamen, ob der künftige Hauptstadtflughafen pünktlich in Betrieb gehen würde, behauptete der Regierende Bürgermeister im Berliner Abgeordnetenhaus, alles laufe nach Plan. Den Skeptikern auf den Oppositionsbänken rief der Sozialdemokrat zu, sie sollten sich damit abfinden, dass er selbst den Airport feierlich eröffnen werde. “Dann können Sie jetzt schon Ihren Anzug dafür bügeln”, spottete Wowereit und hatte die Lacher auf seiner Seite. Das war im April 2010. Zwei Monate später stand fest: Der für Oktober 2011 anberaumte Festakt fällt aus, die Garderobe konnte im Schrank bleiben.

Seitdem hat sich das prestigeträchtigste Großprojekt Deutschlands zu einem Skandal ohne Ende entwickelt. Immer wieder musste das Datum der Inbetriebnahme verschoben werden: erst auf Juni 2012, dann auf März 2013 und schließlich auf Oktober 2013. Jetzt wackelt auch der fünfte Termin. Und erneut wird das Geld knapp. Dabei mussten die Gesellschafter – die Länder Berlin und Brandenburg sowie der Bund – erst jüngst ihre Parlamente um einen üppigen Nachschlag in Höhe von 1,2 Milliarden Euro bitten. Das dürfte trotzdem nicht reichen. Es wäre eine gewaltige Überraschung, wenn die anfangs mit zwei Milliarden Euro kalkulierte Investition nicht schon bald die Fünf-Milliarden-Marke nehmen würde. Auch bei dem Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 und der Elbphilharmonie in Hamburg sind Kosten und Termine völlig aus dem Ruder gelaufen. Solche Fehleinschätzungen führen zu einem Verlust an Vertrauen in die Politik. Der Staat versagt, der Steuerzahler haftet: Die Bürger fühlen sich in ihrer Auffassung bestätigt, dass die öffentliche Hand ein schlechter Bauherr ist.

In der aktuellen Pannenserie der Großprojekte ragt das Berliner Debakel allerdings in besonderer Weise hervor. Denn dort wird anders als in Stuttgart und Hamburg auf der grünen Wiese gebaut, was Planung und Bauausführung üblicherweise erheblich erleichtert. Außerdem gibt es mit Hochtief in Deutschland einen erfahrenen Flughafenbauer, hier aber wollte es Wowereit selbst machen. Hinzu kommt, dass ein Misserfolg in der Hauptstadt der wichtigsten europäischen Volkswirtschaft für eine ganz andere Aufmerksamkeit sorgt. Das Versagen im Land der Ingenieure wird weltweit hämisch kommentiert. Darunter hat das Image des Standortes D gelitten. Was freilich das größte Ärgernis an der ganzen Sache ist: Der Airport mit dem internationalen Code BER  und dem Beinamen Willy Brandt entpuppt sich zunehmend als grandiose Fehlplanung. Darin besteht das eigentliche Drama.

Mit den Details dieses Trauerspiels kennt sich Wowereit bestens aus, schließlich ist er Chef des Aufsichtsrates der Flughafengesellschaft. Der Politiker weiß, dass der zunächst auf 27 Millionen Passagiere ausgelegte BER mit seiner Inbetriebnahme schon an der Kapazitätsgrenze angelangt sein wird. Auf den alten Berliner Flughäfen in Tegel und Schönefeld, die mit der Eröffnung der künftigen Anlage geschlossen werden, sind 2011 bereits 24 Millionen Fluggäste gezählt worden. Im laufenden Jahr zeichnet sich ein Plus von rund 1,3 Millionen Passagieren ab. Überall auf der Welt werden neue Flughäfen von Anfang an so konzipiert, dass sie das steigende Verkehrsaufkommen der nächsten zehn bis 15 Jahre bewältigen können. Berlin tickt da anders, dort ist solche Vorsorge unterblieben. Deshalb müsste unverzüglich mit Planungen zur Erweiterung des Terminals begonnen werden. Davor aber schreckt Wowereit aus Gründen der politischen Opportunität zurück. Solange BER nicht startklar ist, hält er eine Debatte über weitere kostspielige Investitionen für nicht vermittelbar. Dadurch geht wertvolle Zeit verloren. Welche Folgen das haben wird, ist schon heute so gut wie gewiss: Dem Chaos beim Bau des Flughafens wird alsbald ein Chaos beim Betrieb des Flughafens folgen. Der Blick in die weitere Zukunft fällt ebenfalls ernüchternd aus. Denn BER verfügt lediglich über zwei Start- und Landebahnen. Platz für eine weitere Piste gibt es nicht. Deshalb wird der Hauptstadtflughafen selbst nach einem Ausbau nur für 35 bis 40 Millionen Passagiere ausreichen. Diese Größenordnung könnte bereits in zwölf Jahren erreicht sein. Und was ist dann?

Ist in der Wirtschaft erst einmal ein Problem identifiziert, wird nach pragmatischen Lösungen gesucht. Das ist allein deshalb nötig, um im Wettbewerb bestehen zu können. In der Politik gilt in aller Regel eine andere Logik: Die Lage wird schöngeredet. Dabei hatte Wowereit noch im Vorfeld der ersten Verschiebung des Eröffnungstermins gegenüber den Abgeordneten des Abgeordnetenhauses seine Bereitschaft bekundet, Rechenschaft abzulegen und volle Transparenz versprochen. Davon kann inzwischen keine Rede mehr sein. Der Presse werden Auskünfte zum BER-Desaster vorenthalten. Der vom Berliner Parlament eingesetzte Untersuchungsausschuss erhält nur zögerlich Einsicht in Akten. Und erst jetzt werden auf Druck des Bundes als Minderheitsgesellschafter unabhängige Gutachter eingeschaltet. Sie sollen prüfen, ob Management und Mitglieder des Aufsichtsrates für den eingetretenen Schaden haftbar gemacht werden können.

Wowereit weigert sich strikt, selbst politische Verantwortung zu übernehmen. Geradezu trotzig behauptet er, das Projekt sei ein Erfolgsgarant für die gesamte Region. Das Gegenteil ist der Fall. Berlin ist nach wie vor ein ökonomisch rückständiger Teil Deutschlands. Zwar gibt es einige Lichtblicke. In den vergangenen Jahren sind neue Jobs entstanden, die Einwohnerzahl steigt, immer mehr Touristen kommen. Aber nach wie vor muss der Stadtstaat so umfangreich alimentiert werden wie kein anderes Bundesland. Berlin hängt am Tropf der Solidargemeinschaft. Angesichts dieser Abhängigkeit, die auch eine Folge der deutschen Teilung ist, muss die Hauptstadt jede sich bietende Möglichkeit optimal nutzen. Mit einem so bedeutenden Infrastrukturprojekt wie dem Flughafen hätte man verlorenes Terrain zurückgewinnen können. Diese Chance wurde vertan. Und dieses Fiasko verbindet sich mit dem Namen von Klaus Wowereit. Der dienstälteste deutsche Länderchef sollte sich nicht länger wegducken. Im Roten Rathaus wird keiner benötigt, der eigene Fehler kleinredet, sondern einer, der zum Wohl des Landes Berlin mit Hochdruck nach Lösungen für das verfahrene Flughafenprojekt sucht.

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