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Als “bastian” surfte Edathy auf Pornoseite

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Als “bastian” surfte Edathy auf Pornoseite

Sebastian Edathy bezog auch Material von einem deutschen Porno-Anbieter. In dessen Angebot findet sich möglicherweise Material von Minderjährigen. Eine Spur führt nach Tschechien.

Von Florian Flade, Uwe Müller

Zwei Jungen liegen auf einem Bett. Sie lächeln in die Kamera. Sie sind splitternackt. Angeblich heißen sie “Alex” und “Christopher”, angeblich sind sie beide 18 Jahre alt. Die Bildergalerie zeigt die Jünglinge, während sie sich auf einer geblümten Bettdecke rekeln. Sie tauschen Zungenküsse aus, sie masturbieren, reiben ihre Genitalien aneinander, haben Oral- und Anal-Sex. Dabei grinsen sie unentwegt.

“Super heiße Jungs!”, hat ein Kommentator unter die Fotos geschrieben. Ein anderer meint: “Ich bin dieser Seite gerade erst beigetreten und ich genieße es schon sehr!”

Diese Seite, das ist “AlexBoys.com”, ein Anbieter von jugendpornografischem Video- und Fotomaterial. Mehr als 230 Jungen sind dort zu sehen, offeriert werden nach Angaben des Betreibers rund 170 Videos und 47.000 Fotos. Der Werbetext der Website bezeichnet die Darsteller als “Teenboys”, die süß, weich und sexy seien. “Sie sind alle glücklich, gutaussehend und haben großen Spaß, für dich sexuell aktiv zu sein.”

Das Konzept scheint erfolgreich zu sein. Ausweislich einer Nutzerstatistik hatten schon vor Jahren mehr als 12.000 zahlende Kunden auf “AlexBoys” zugegriffen. Einer von ihnen: Sebastian Edathy.

Der SPD-Politiker hatte sich im Zeitraum von 2007 bis 2009 zwei Mal einen befristeten Zugang für “AlexBoys” gekauft. So ist es in internen Unterlagen des Porno-Anbieters vermerkt, die der “Welt am Sonntag” vorliegen. Edathy meldete sich demnach erst mit der E-Mail-Adresse rehburger@web.de an, dann mit edathy@edathy.de. Die Kosten, vermutlich 24,95 Dollar, wurden über die Internetbezahldienste CCBill und Verotel abgewickelt.

Als Kunde verwendete Edathy den Dokumenten zufolge den Nicknamen “bastian”. Ein “bastian” wird spätestens im September 2012 dauerhaft Mitglied bei “AlexBoys”. Ob sich hinter diesem “bastian” der langjährige Abgeordnete Sebastian Edathy verbirgt, lässt sich nicht mit letzter Gewissheit sagen. In dem Kundenverzeichnis ist der Klarname anders als bei den älteren Dateien nicht ausgewiesen.

Für Anwalt Noll “eine ,normale’ Porno-Website”

Edathy selbst lässt Fragen dieser Redaktion dazu unbeantwortet. Sein Anwalt Christian Noll spricht von “einer ,normalen’ Porno-Website”, deren Besuch nicht öffentlich erörtert werden dürfe. Doch ganz so einfach liegen die Dinge nicht. Es stellen sich viele Fragen. In politischer, moralischer und möglicherweise sogar in strafrechtlicher Hinsicht.

Der Sozialdemokrat Edathy kämpft gegen einen ungeheuren Verdacht. Er hat, wie die Staatsanwaltschaft Hannover jüngst bekannt gab, zwischen Oktober 2005 und Juni 2010 bei einem kanadischen Online-Anbieter 31 Bildersets und Videos mit nackten Jungen erworben. Sie waren im Alter zwischen neun und 13 oder 14 Jahren, wie Behördenchef Jörg Fröhlich auf einer Pressekonferenz ausführte. Ob Edathy damit eine Straftat begangen hat, bezeichnete Fröhlich als “schwierige Wertungsfrage”. Auf jeden Fall befinde man sich “im Grenzbereich”.

In Kanada hatte Edathy sogenanntes “Posing-Material” geordert. Dabei sind Genitalien von Knaben zu sehen, die aber nicht im Fokus stehen. Anders verhält es sich bei den Videos und Fotos von “AlexBoys”. Hier handelt es sich um explizit pornografisches Material. Die Darsteller sind keine Kinder, erwecken mitunter allerdings den starken Eindruck, jünger zu sein als die auf der Website angegebene Altersangabe “18+”. In einem Fall hat sich ein Junge ein buntes Plastikspielzeug in den Mund eingeführt.

Wer verdient an dem Material?

Zwei verschiedene Sachverhalte also, die aber eines gemein haben: Juristen sind sich uneins, ob die Beschaffung solcher Angebote strafrechtlich relevant ist.

Was aber ist AlexBoys.com? Wie alt sind “Alex” und “Christopher”, “Frodo” und “Moritz” oder “Florian” und “Dennis” wirklich? Wo werden die Sexfilme und Fotos mit ihnen hergestellt? Wer verdient an dem Material?

Die Spur zu den Hintermännern von “AlexBoys” führt zunächst in eine Sackgasse. Im Impressum der Website wird als Verantwortlicher ein “Demiz Lodz” angegeben, der unter der Adresse 614 Rue Bélanger im kanadischen Montreal residieren soll. Eine Person, die es nicht gibt. Jedenfalls nicht unter dieser Adresse.

Der eigentliche Betreiber von “AlexBoys” lebt nach Recherchen der “Welt am Sonntag” in Deutschland, in einem beschaulichen Vorort von München. Er heißt Klaus S., ist 44 Jahre alt und ein IT-Fachmann. Am Telefon behauptet er zunächst, nicht mehr mit der Porno-Seite in Verbindung zu stehen. Einen Tag später revidiert er diese Version: “Ja, ich habe damit zu tun.”

Angebot für Kunden mit päderastischen Neigungen

Im Jahr 2001 hatte S. die Website-Domain für “AlexBoys”, damals noch unter einer Berliner Adresse, registrieren lassen. Das Portal wurde jahrelang aus den Räumlichkeiten einer Immobilienfirma heraus betrieben, deren Hauptgesellschafter S. heute ist. Dort bearbeitete ein Webadministrator die Fotos, unterlegte Videos mit Musik und beantwortete Kundenanfragen.

Die Inhalte für die Website, offenkundig ein Nischenangebot für Kunden mit päderastischen Neigungen, stammen ganz überwiegend nicht aus Deutschland. Sie werden in Polen, Tschechien und der Slowakei hergestellt. Von obskuren Gestalten wie Václav Huspek, einem rechtskräftig verurteilten Kriminellen, der der Produktion von Kinderpornografie überführt wurde.

Rückblende. In einem Wald bei Kostelec nad Orlicí, einem beliebten Ausflugsziel am Rande des tschechischen Adlergebirges, bezieht Huspek zusammen mit dem Engländer John Kieron Power die “Villa Mirov”. Das heruntergekommene Gebäude aus der Gründerzeit mit verspielten Turmaufbauten und einem Wintergarten dient fortan als Drehort für Pornos mit Minderjährigen.

Freiheitsstrafe von fünf Jahren

Mehr als 20 Darsteller im Alter bis zu 18 Jahren, einige jünger als 15, wirken an den Filmen mit. Sie werden von Huspek mit Marihuana und von seinem Kompagnon Power mit Alkohol versorgt. Der Engländer missbraucht einige der Jugendlichen.

Später wird einer von ihnen sagen: “Ich war vielleicht 20-mal dort. Damals war ich 17 Jahre alt. Ich posierte auf einer Liege, habe mich ausgezogen und wurde dabei fotografiert. Dann haben sie mir einen Porno gezeigt und wollten, dass ich beim Ansehen onaniere. Ich habe das zusätzlich bezahlt bekommen. Man sagte mir, die Fotos würden im Internet veröffentlicht.” Schließlich setzt die tschechische Polizei dem Treiben ein Ende.

Nach einem Verfahren durch alle Instanzen wird der damals 21-Jährige Huspek im September 2006 vom höchsten Gericht in Prag zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Nach der Entlassung heiratet er und nimmt den Nachnamen seiner Frau an. Bald darauf zieht es ihn nach Berlin – zu seinem Freund Klaus S., dem Betreiber von “AlexBoys”.

Fehlende Altersnachweise bei Darstellern

Zu Huspek befragt, sagt S.: “Ich kenne den, ja, er ist ein Freund von mir, ja, ich habe dem eine Zeit lang geholfen.” Heute habe Huspek nichts mehr mit “AlexBoys” zu tun: “Der ist raus.” Eine Frage lässt S. offen: Befindet sich auch in der “Villa Mirov” produziertes Material auf “AlexBoys”?

Genau das vermutet ein Kenner des Unternehmens. Und noch mehr. Klaus S. soll gesagt haben, Huspek habe ihn vor dem Gefängnis bewahrt, denn dieser habe ihn nach seiner Verhaftung in Tschechien nicht belastet. Bei älterem pornografischem Material, das sich weiterhin auf der Seite “AlexBoys” befinde, verfüge Klaus S. vielfach nicht über notwenige Altersnachweise der Darsteller.

Damit konfrontiert schweigt S. Schriftlich teilt er lediglich mit: “Ich betreibe Internetseiten für Erotikmodels, und das Gewerbe wird unter Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen betrieben.” Er könne die durch Recherchen der “Welt am Sonntag” gewonnenen Erkenntnisse und Schlussfolgerungen “nicht bestätigen”.

Strafrechtlich nicht relevant

Muss sich ein Kunde von “AlexBoys” wie Sebastian Edathy für solche Zusammenhänge interessieren? Nein, sagt sein Anwalt. Das Webangebot sei “öffentlich zugänglich und nicht verboten”, es handele sich “allem Anschein nach” um eine legale Seite, deren Nutzung “damit strafrechtlich nicht relevant” sei, teilt Noll mit.

Strafrechtlich nicht relevant: Dieses Argument hatte der Jurist schon nach Bekanntwerden von Edathys Kanada-Käufen ins Feld geführt. In einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover führt Noll aus: “Was legal ist, ist auch immer privat. Was jemand in seinen vier Wänden macht, geht die Öffentlichkeit nichts an, auch nicht bei dieser Thematik.”

Als Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren darf Edathy selbstverständlich so argumentieren. Für den Politiker Edathy allerdings wirkt diese Verteidigung bestenfalls naiv. Der Sozialdemokrat gehörte nicht nur gut anderthalb Jahrzehnte dem Deutschen Bundestag an und war zuletzt Vorsitzender des politisch so wichtigen NSU-Ausschusses, und das sehr erfolgreich. Schon 2005 ließ er sich zum Vorsitzenden des Innenausschusses ernennen, an dessen Spitze er vier Jahre stand. Danach war er Mitglied im Rechtsausschuss. In diesen Funktionen hatte er immer wieder mit Themen aus dem Bereich Kinder- und Jugendpornografie zu tun.

Keine eindeutigen Belege

Edathy war etwa beteiligt, als der Bundestag 2008 den “Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie” umsetzte. Er dürfte zahlreiche parlamentarische Anfragen und Debatten mitbekommen haben, in denen es um kommerzielle sexuelle Gewalt und Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen ging. Eines jedenfalls kann der routinierte Politiker kaum für sich in Anspruch nehmen: nicht zu wissen, dass Material, wie es auf “AlexBoys” zu sehen ist, meist unter höchst fragwürdigen Umständen hergestellt wird.

Und die strafrechtliche Dimension? Paragraf 184c des Strafgesetzbuches stellt den Besitz von jugendpornografischen Schriften unter Strafe. Ein Besitz ist schon dann gegeben, wenn das Material auf dem Computer zwischengespeichert wird.

Dafür, dass auf “AlexBoys” allerdings Personen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren bei sexuellen Handlungen zu sehen sind, gibt es keine eindeutigen Belege. Und selbst wenn es sie geben würde, könnten Käufer der Aufnahmen sich damit herausreden, dass die Minderjährigkeit für sie nicht erkennbar war.

Offenbar befindet man sich wieder in einem jener Grenzbereiche, auf die die Staatsanwaltschaft Hannover im Verfahren gegen Edathy hingewiesen hat.

Klarheit hätte möglicherweise das Bundeskriminalamt schaffen können. Bei der Wiesbadener Behörde ging nach Informationen der “Welt am Sonntag” am 5. Mai 2012 ein anonymer Hinweis zu angeblichen Rechtsverstößen im Zusammenhang mit “AlexBoys” ein. Doch Folgen hatte das offenbar nicht. Hätte man genauer hingeschaut, wäre man vielleicht schon früher auf den Namen von Edathy gestoßen.

Der Artikel auf welt.de

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