Was passiert, wenn Ulla Berkéwiczs Plan aufgeht?
Details aus dem Insolvenzplan: Wenn Suhrkamp in eine AG umgewandelt wird, hat Ulla Berkéwicz gewonnen. Eine Schlüsselrolle könnte der Verein spielen, der sich um die Rentner des Verlags kümmert.
Von Sven Clausen und Uwe Müller
Ulla Unseld-Berkéwicz schweigt. Sie gibt keine Interviews und meidet öffentliche Auftritte. Seitdem das Berliner Amtsgericht Charlottenburg die Insolvenz über den Suhrkamp-Verlag eröffnet hat, ist die Witwe Verlegers Siegfried Unseld wie abgetaucht. Dabei ist die Schriftstellerin nicht nur Mehrheitseignerin, sondern auch Geschäftsführerin des berühmtesten deutschen Literaturverlages.
Für Berkéwicz ist Zurückhaltung in dieser Phase eine kluge Strategie. Sie muss sich ausweislich des Insolvenzplans, den sie am 5. August beim Amtsgericht eingereicht hat und der nun der “Welt” vorliegt, kurz vor dem Ziel wähnen. Im Plan sind die letzten Akte für die Neutralisierung des verhassten Minderheitseigners Hans Barlach skizziert. Wie stehen die Chancen, dass der Enkel des Bildhauers Ernst Barlach das Blatt noch juristisch zu seinen Gunsten wenden kann?
Als Erstes muss Berkéwicz den Insolvenzplan durch den Gläubigerausschuss bringen, dem wichtigsten Entscheidungsgremium bei einem Unternehmen, das zahlungsunfähig ist, aber mit der alten Geschäftsführung weitermachen will. Er sieht, im Wesentlichen, die Streichung der Gesellschafterforderungen über gut sieben Millionen Euro und die Wandlung in eine Aktiengesellschaft vor. Das Treffen dazu wird in den nächsten Wochen stattfinden, aber schon die vorherigen Zusammenkünfte waren für die Verlegerin gut verlaufen, wie aus der Korrespondenz hervorgeht.
Die Besetzung des Gremiums ist alles andere als feindselig: Der Lyriker Durs Grünbein sitzt darin, von dem Suhrkamp aktuell fast fünfzig Werke im Angebot hat, ebenso die stellvertretende Betriebsratschefin Bettina Dümig, die Bundesagentur für Arbeit, der Netzwerk-Lieferant Hanse-Concept sowie der Pensions-Sicherungs-Verein. Einzig der Pensions-Sicherungs-Verein muss für sie ein Unsicherheitsfaktor sein. Er springt für Firmenrentner ein, falls deren Verlag die Verpflichtung nicht mehr schultern kann. Im Fall Suhrkamp wären das: sieben Millionen Euro. Finanziert wird er durch eine Umlage aller deutschen Unternehmen, die eine Betriebsrente zahlen. Deswegen ist dem Verein jede Gefühligkeit ziemlich fremd.
Hans Barlach verlöre seine Sonderrechte
Aus dem Insolvenzplan lässt sich recht genau herauslesen, was geschieht, wenn er durchgewunken werden sollte. Mit der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft verliert Hans Barlach vermutlich seine Sonderrechte, mit denen er etwa bei einigen Personalien ein Vetorecht hatte oder auch bei größeren Investitionen mitreden durfte. Sie gelten nur für Suhrkamp als Kommanditgesellschaft. Doch das reicht Berkéwicz nicht.
Im Insolvenzplan ist vorgesehen, Barlach danach ein Abfindungsangebot für seine Aktien zu unterbreiten. Er wird dann 19.500 Stück halten, fünfzig Euro pro Aktie werden ihm angeboten. Insgesamt käme er damit auf einen Verkaufspreis von 975.000 Euro. Bislang hat Barlach immer beteuert, nicht verkaufen zu wollen. Dieser Preis wird ihn in seiner Haltung eher bestärken. Schließlich hat der Kaufmann bislang mindestens zwölf Millionen Euro in sein Suhrkamp-Engagement investiert. Das Abfindungsangebot dürfte er daher als Versuch auffassen, ihn kalt zu enteignen.
Barlachs Problem ist nur: Nimmt er das Angebot nicht an, wird er voraussichtlich seiner weiteren Entmachtung zusehen müssen. In diesem Fall könnte Barlach außerdem nicht mehr frei über seine Aktien verfügen. Einem Verkauf seines Pakets müsste laut Insolvenzplan der künftige Suhrkamp-Vorstand zustimmen. Barlach sieht in dem Vorgehen eine Verletzung der grundgesetzlich geschützten Eigentumsgarantie und erwägt deshalb, nach Karlsruhe vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.
Berkéwicz und ihre beiden Mitgeschäftsführer beschreiben im Insolvenzplan, welche weiteren Schritte wahrscheinlich sind. Sie werden sich eine Kapitalerhöhung über 25.000 Aktien genehmigen lassen. Das heißt: Wenn das Kapital insgesamt erhöht wird, verlieren die Alt-Aktionäre jeweils relativ an Einfluss, im Fachjargon nennt man das “Verwässern”. Der neue Aktionär, der die 25.000 frischen Aktien kauft, würde 33,3 Prozent halten, Berkéwiczs Anteil von 61 Prozent auf 40,6 Prozent sinken, der von Barlach von 39 Prozent auf 26 Prozent.
Vielleicht ist ein Einstieg von dtv die bessere Lösung
Dass der Aufsichtsrat sich dagegen sperrt, ist so wahrscheinlich wie die Veröffentlichung eines Romans von Hedwig Courths-Mahler bei Suhrkamp. Die drei Geschäftsführer haben sich ihre Aufsichtsräte für die kommenden vier Jahre bereits ausgesucht. Laut Insolvenzplan sollen diesen schönen Nebenjob drei Anwälte der Sozietät Witthohn, Aschmann, Schellackaus aus Hamburg bekommen: Dieser Kanzlei vertraut Berkéwicz uneingeschränkt. Auch in der Frage, wer der neue Großaktionär werden soll, hat die alte Geschäftsführung die Gleise schon gelegt. Sie bezeichnet in ihrem Insolvenzplan “die SFO GmbH (…) als möglichen neuen Gesellschafter”.
In der Anlage 5 wird deutlich, wer sich dahinter verbirgt: Sylvia und Ulrich Ströher, die Erben der einstigen Haarpflege-Dynastie Wella aus Darmstadt. In einem Brief vom 24. Juli schreibt Ulrich Ströher: “Wir beziehen uns auf die in den letzten Wochen geführten Gespräche und bestätigen Ihnen hiermit gerne, dass wir nach Maßgabe des Inhalts dieses Schreibens eine Beteiligung am Suhrkamp Verlag beabsichtigen (…) Wir wären bereit, uns im Rahmen einer Kapitalerhöhung zu beteiligen oder Aktien bisheriger Gesellschafter (…) zu erwerben.”
Pikant: Das Angebot des Deutschen Taschenbuch Verlags erwähnt die Geschäftsführung mit keiner Silbe. Weil das Interesse des dtv aber inzwischen öffentlich ist, könnte es für Berkéwicz an diesem Punkt schwierig werden. Entscheidend wird sein, wie sich der Pensions-Sicherungs-Verein verhält. Er könnte argumentieren, dass die Zukunft des Verlags – und damit die Zahlungen für die Betriebsrentner – weit sicherer seien, wenn ein erfolgreicher Branchennachbar bei Suhrkamp einsteigt, als wenn ein im Grunde nur mäzenatisch motiviertes Ehepaar das tut.
Der niedrigste Umsatz seit Jahren
Ein Blick in bislang noch unveröffentlichte Geschäftszahlen macht deutlich, dass der Verlag auch operativ durchaus Nachhilfe gebrauchen könnte. Ulla Unseld-Berkéwicz ist immer wieder für das Programm gelobt worden, das sie seit zehn Jahren verantwortet. Rein wirtschaftlich betrachtet, verliert der Verlag im Vergleich zu Konkurrenten wie dtv kontinuierlich an Bedeutung. Ohne den Verkauf des Tafelsilbers – des früheren Verlagssitzes im Frankfurter Westend, des Archivs an das Deutsche Literaturarchiv Marbach sowie von zwei Gemälden des Pop-Art-Künstlers Andy Warhol – wäre die Lage von Suhrkamp wohl noch viel desolater als sie es ohnehin ist.
Laut Insolvenzgutachten hat Suhrkamp im vergangenen Jahr nur einen Umsatz von 23,9 Millionen Euro erzielt. Es ist der niedrigste Wert seit Jahren, noch 2010 waren es 27,7 Millionen Euro. Das Ergebnis ist nach den Sonderverkäufen erneut rot, der Verlust beläuft sich auf 105.000 Euro. In diesen Zahlen ist der Insel Verlag nicht enthalten, für den die Geschäftsführung ebenfalls Insolvenz beantragt hat. Hans Barlach hat dem Management wiederholt Unfähigkeit vorgeworfen. Jetzt wird er also auf den Pensions-Sicherungs-Verein hoffen.
Immerhin kann er aus dem Insolvenzplan Hoffnung schöpfen, dass die Geschäftsführung von Suhrkamp und ihre Berater nicht immer sattelfest sind. In Anlage 8 wird über die steuerlichen Auswirkungen einer Umwandlung von Suhrkamp in eine Aktiengesellschaft referiert. In einem Detail, dessen Folgen für den Gesamtverlauf der Operation noch nicht absehbar sind, wird es besonders erhellend. Dort heißt es, dass der deutsche Gesetzgeber eine solche Wandlung steuerlich nicht überlaste, wenn alle Gesellschafter mindestens ihren Sitz im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) hätten.
Barlachs Medienholding, über die er die Suhrkamp-Anteile hält, sitzt in der Schweiz. “Da die Schweiz zum EWR-Raum gehört, sind die Voraussetzungen für die Medienholding gegeben”, triumphieren die Autoren. Schon der zweite Satz der Internet-Enzyklopädie Wikipedia hätte sie aufgeklärt, dass das Gegenteil der Fall ist.
Barlach behauptet, dieser Fauxpas mache die Insolvenz für Suhrkamp richtig teuer. Den Fehler der teuren Berater, die den Insolvenzplan ausgearbeitet haben, will Suhrkamp nicht kommentieren. Eine Sprecherin teilt auf Anfrage mit: “Details eines nicht öffentlichen Dokuments, das Sie gar nicht haben dürften, kann ich nicht mit Ihnen diskutieren.”