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Lies keine Oden, lies die Gutachten!

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Lies keine Oden, lies die Gutachten!

Wie geht es der Suhrkamp-Kultur wirklich? Eine kleine Lektüre der internen Insolvenzpapiere

Von Sven Clausen und Uwe Müller

Der Suhrkamp Verlag, so schwärmen sie zurzeit in der Literaturszene, steckt doch so voller Schätze: die Autorenrechte! der Bücherbestand! Rolf Rattunde sieht das nicht so: “Im Ergebnis”, schreibt der vom Gericht für den insolventen Verlag bestellte Sachwalter in seinem internen Gutachten, “ist ein wesentlicher Teil des Lagerbestandes auf dem Markt nicht sonderlich gefragt und deswegen auch nur sehr schwer oder nur zu sehr günstigen Preisen verkäuflich.” 5,5 Millionen Exemplare verschiedener Autoren und Titel hat er in den Lägern gezählt, 9000 Titel insgesamt. Man merkt, dass diesen sonst so sachlichen Juristen diese Situation doch etwas konsterniert. “Im vergangenen Geschäftsjahr”, schreibt er weiter, “wurden z.B. ca. 6000 Titel – entspricht zwei Drittel der Titel und rd. 2,4 Mio. Exemplaren Lagerbestand – weltweit weniger als 100mal verkauft.”

Eine Pleite kann auch eine Verheißung sein. Im Fall Suhrkamp lautet sie: Nach Jahren des voluminösen Verbalkriegs zwischen den Gesellschaftern Hans Barlach und Ulla Unseld-Berkiéwicz sezieren kühl analysierende Juristen den Verlag. Wie gut ist er denn jetzt wirklich, zumindest ökonomisch? Und sind die Chefs gute Geschäftsführer? Der “Welt am Sonntag” liegt das Gutachten vor, mit dem Rattunde den Insolvenzantrag der Suhrkamp-Geschäftsführung beim Amtsgericht Charlottenburg unterstützt hat, und auch der Insolvenzplan, den Juristen für den Verlag ausgearbeitet haben und der dem Haus wieder eine Zukunft geben soll. Es sind, mit allen Anlagen, knapp 240 Seiten – das Panoptikum eines ruhmreichen Kulturbetriebs, aber auch ein Dokument der Ernüchterung.

Den 5,5 Millionen Büchern im Lager widmet Rattunde fast vier seiner eng beschriebenen DIN-A4-Seiten. Am Ende einer voltenreichen Diskussion kommt er zum Schluss, dass sie insgesamt für den Verlag nur 3,969 Millionen Euro wert sind – pro Buch also gerade 72 Cent. Nicht einmal Flohmarktpreise.

Auch sonst scheint Suhrkamp eine Neigung zum modernen Antiquariat zu haben. Neben elf Leasingfahrzeugen zählt der Verlag neun eigene Autos – darunter zwei zeitgenössische Klassiker: Einen VW Polo 60, Baujahr 1996, mit mehr als 245.000 Kilometern auf dem Tacho und den Jaguar Souverän 4.0 des verstorbenen Verlags-Übervaters Siegfried Unseld, ebenfalls Baujahr 1996 mit einem Kilometerstand von 285.840. Liquidationswert der Flotte: 24.200 Euro.

Das würde gerade mal die Hälfte der Kosten für die Büro- und Lagerflächen des Verlags in der Berliner Pappelallee decken: 46.000 Euro für die gut 4000 Quadratmeter fallen da monatlich an. Dazu kommen 3600 Euro monatlich für die Repräsentationsadresse in der Gerkrathstraße in Berlin, in der Berkiéwicz privat wohnt. 292 Quadratmeter ihrer Villa hat sie an Suhrkamp vermietet, etwa für Lesungen. Eine “Autorenwohnung” sowie eine “Gästewohnung” für je rund 500 Euro Miete unterhält der Verlag auch noch.

Rattunde bleibt zwar in seinem Gutachten diszipliniert, mitunter schimmert aber durch, für wie handlungsunfähig er die Geschäftsführung um die Verlagserbin Unseld-Berkiéwicz hält – etwa wenn er notiert, dass ihm für die kommenden zwei Jahre “ein Unternehmenskonzept nicht vorliegt”. Trotzdem unterstützt das Gutachten die Marschroute der Mehrheitseignerin, nämlich die Sanierung des Verlags aus der Insolvenz mit der alten Geschäftsführung. Immerhin: Rattunde hat für sich selbst als Sachwalter ein Honorar von 500.000 Euro veranschlagt, wenn der Prozess dergestalt weiterläuft.

Die Neigung zur alten Geschäftsführung wird bei einigen Schätzungen deutlich, die Rattunde vornimmt. Vereinfacht: Je niedriger das Gutachten den Wert des Verlags ansetzt, umso besser für die Argumentation einer Überschuldung und eines Neuanfangs. Zudem verknüpft Rattunde viele der Werte des Verlags indirekt mit dem weiteren Wirken von Unseld-Berkiéwicz. Frappierend ist das etwa bei den Autorenrechten. Hermann Hesse, Thomas Bernhard, Bertolt Brecht, Christa Wolf – die Liste ist Legende. Etwa 30.000 Verlagsverträge hat Rattunde gezählt. Den Wert, den er dafür im Falle eines Verkaufs veranschlagt: null.

Seine Argumentation: Bei einem Eigentümerwechsel dürften alle Autoren wieder die Eigennutzung verlangen. Würde man bei einzelnen Autoren auch nur anfragen, prophezeit Rattunde, “wäre das Medienecho und die Resonanz unter den Autoren derart, dass mit einem Zusammenbruch des Suhrkamp Verlag ernsthaft gerechnet werden müsste”. Vergleichbar verläuft die Argumentation bei der Marke Suhrkamp, die Rattunde mit lediglich 250.000 Euro ansetzt. “Der Wert der Marke hängt maßgeblich von den Autoren ab, die sich an den Verlag vertraglich gebunden fühlen”, schreibt der habilitierte Jurist in seinem Gutachten.

Eine perfekte Vorlage ist das für den Insolvenzplan von Unseld-Berkiéwicz und ihren Juristen, den sie dem Gericht vorlegt und der für sie Überzeugungsarbeit leisten soll, den Verlag weiterführen zu dürfen. Obwohl Suhrkamp 2012 rote Zahlen geschrieben hat, verliert sie kaum ein Wort darüber, wie sie beispielsweise im Vertrieb oder bei den Kosten besser werden will. Stattdessen heißt es in dem Abschnitt “Fortsetzung der Geschäftstätigkeit”: “Im deutschen Buchhandel wurde der 1. Juli 2013 zum ‘Wir lieben Suhrkamp’-Tag erklärt, an dem mehr als 250 unabhängige Buchhandlungen teilnahmen und ihre Auslagen entsprechend dekorierten. Auch von Seiten der Presse und der Autorenschaft wurde die Schuldnerin durch neue Vertragsabschlüsse und öffentliche Stellungnahmen unterstützt.”

Dass die Geschäftsführung möglichst genau so weiterarbeiten möchte wie bisher, lässt sich auch aus einem wichtigen Detail ablesen, das im Insolvenzplan fehlt. Nach Informationen der “Welt am Sonntag” haben bislang mindestens zwei Externe bei der Geschäftsführung ihr Interesse hinterlegt, den Verlag mit frischem Kapital zu unterstützen – selbstverständlich im Tausch gegen Anteile und Einfluss. Einer davon ist der Deutsche Taschenbuch Verlag, der naturgemäß fachliche Expertise einspeisen wollen würde. Im Insolvenzplan ist aber nur vom Interesse der SFO GmbH die Rede, einer Firma der Wella-Erben Sylvia und Ulrich Ströher – ein eher fachfremder Kandidat.

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